Ilio „Dario“ Barontini

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Am 22. Januar 1951 wurde Ilio „Dario“ Barontini bei einem Verkehrsunfall getötet. Wir erinnern an dieser Stelle an eine große Persönlichkeit, die in Livorno geboren und aufgewachsen ist, an einen Antifaschisten, der in Europa und Afrika für eine andere Welt gekämpft hat, und an den Namengeber unseres Diario di Dario. Der folgende Text wurde übrigens in unserem letzten Heft veröffentlich.

Der Namensgeber dieses Heftes sollte euch, den Leser*innen, eigentlich schon in einer früheren Ausgabe vorgestellt werden. Daß es bis zur vierten Ausgabe gedauert hat, liegt vor allem an der Umtriebigkeit von Dario sowie den wenigen und schwer zugänglichen Quellen zu seinem Leben. Wir mußten uns erst einmal etwas einlesen. Einen kurzen Abriß seiner spannenden Biografie gab es immerhin schon im ersten Diario zu lesen. Nun folgen ein paar mehr Zeilen, die auch viel über die Geschichte Italiens im 20. Jahrhundert erzählen.

Dario hieß mit bürgerlichem Namen Ilio Barontini. Er wurde am 28. September 1890 in Cecina in der Nähe von Livorno geboren. Nach der Schule machte er eine Ausbildung zum Dreher. Er fühlte sich früh als Teil der revolutionären Arbeiterklasse. Schon als 13-Jähriger engagierte er sich in der anarchistischen Bewegung Livornos. Zwei Jahre später trat er der Sozialistischen Partei bei. Es war die Zeit der wachsenden Arbeitskämpfe. Und der Krieg warf bereits seine Schatten. Barontinis Position zum Ersten Weltkrieg war eindeutig und unmißverständlich: Er wollte auf keinen Fall an ihm beteiligt sein.

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Nach diesem Krieg engagierte sich Barontini in der wachsenden kommunistischen Bewegung. Er gehörte zu den Gründer*innen der Kommunistischen Partei Italiens (PCd’I), die am 15. Januar 1921 in Livorno ausgerufen wurde. Er was es, der den Kontakt zum Theater San Marco herstellte und pflegte. Dort, in der Nähe der Fortezza Nuova, nicht weit von dem Ort, wo heute das antifaschistische Teatrofficina Refugio radikale Kultur organisiert, gleich neben dem Knast, fand der konstituierende Kongress der PCd’I statt. Wenig später übernahm Ilio erste Ämter wie zum Beispiel das des Gemeindevertreters, des Provinzvorsitzenden der PCd’I oder des Chefs der Livorneser Arbeiter*innen-Kammer.

1927 wurde Barontini das erste Mal von einem Spezialgericht wegen Beteiligung an einem vermeintlich „kommunistischen Komplott“ verurteilt. Es war die Zeit des härtesten faschistischen Terrors, in der er im Gefängnis landete. Als er 1931, nach drei Jahren Knast, wieder auf freiem Fuß war, entschied er sich, zu flüchten. Zunächst ging es mit einem Boot von Korsika aus nach Frankreich, um dort den Kampf gegen den Faschismus zu unterstützen. In Marseille koordinierte er für seine Partei den Widerstand und traf politisch Verbannte aus ganz Europa. 1933 verließ er Frankreich und ging zunächst für ein Jahr in die Sowjetunion. 1934 brach er nach China auf und studierte bei Mao Tse Tung Taktiken des Guerilla-Kampfes. Diese Erfahrungen sollten zentral für seine Kampfführung werden.

Ab 1936 kämpfte Ilio als einer der ersten in den Internationalen Brigaden im Spanischen Bürgerkrieg und kommandierte ein Bataillon italienischer Antifaschist*innen der XII. Brigade Garibaldi. Er übernahm den Posten von einem Genossen, der verletzt wurde. „Er hat sich als außergewöhnlicher Stratege und als jemand erwiesen, der andere begeistern konnte“, sagte sein nicht minder berühmter Weggefährte Giovanni Pesce über ihn. Er erinnert sich vor allem, wie er unermüdlich in der Schlacht von Guadalajara – 8. bis 24. März 1937 – einer Stadt in der gleichnamigen spanischen Provinz, die nicht weit von Madrid entfernt ist, den Verlauf zu jedem Zeitpunkt und an jedem Ort kommandierte. Das Wetter soll scheußlich gewesen sein. Aber Barontini blieb nicht im Offiziersquartier. Jeden Tag war er auf einem anderen Posten. „Er erklärte uns Jüngeren immer die Situation und sprach uns in seiner ruhigen, stets menschlichen Art Mut zu“, so Pesce, der später zahlreiche Bücher zur Resistenza veröffentlichte.

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1938 ging Barontini von Spanien nach Abessinien (seit 1974 Äthiopien) und beteiligte sich am Widerstand gegen die italienische Invasion. Er wurde zu einem der „Drei Apostel“. Er war Paulus, nach dem ersten der biblischen Apostel, und betrachtete diese Mission als die abenteuerlichste und als etwas mysteriös, glaubt mensch Pesces Berichten. Die Aufgabe des Gespanns war es, die Widerständigen zu einen. Dabei tarnten sie sich. Barontini etwa trug einen fetten Bart, mit dem ihn kein faschistischer Polizist wiedererkannte. Am Ende hat sich Äthiopien trotz der Eisernen Hand der Faschist*innen nicht unterworfen. Barontini und seine Genoss*innen bauten eine provisorische Regierung auf und gaben ein zweisprachiges Magazin mit dem Titel „Le voci degli Abbessini“ (Die Stimme der Abbessinen) herausgeben.

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Im Jahr 1940 ging Barontini wieder nach Frankreich und blieb dort bis 1943. Er kämpfte im Süden an der Seite der Résistance, den französischen Partisan*innen. Dort wurde er durch spektakuläre, militante Aktionen bekannt. Dazu gehörten Sabotageakte unterschiedlichster Art. In Marseille jagte er das von SS-Führern besetzte Hotel Terminus ebenso wie ein in deutscher Hand befindliches Bordell und ein Kino in die Luft. Diese Aktionen sorgten für wachsende Aufmerksamkeit bei der Französischen Kommunistischen Partei, woraufhin diese Barontini zum Anführer*innen der Maquis, der Francs-tireurs partisans (FTP), rekrutierten. Wegen seiner Bomben erhielt Barontini von den Französ*innen den Kampfnamen „Hiob“, nämlich als Überbringer von Schreckensnachrichten.

Nach dem Waffenstillstand Italiens mit den alliierten Streitkräften im September 1943 und der darauffolgenden Besatzung Italiens durch die Nazis, kehrte Barontini zurück. Er wurde einer der Hauptorganisator*innen der Resistenza. Er wurde zu „Dario“, oder genauer zu General Dario. Seinen „Giro d’Italia“ begann er in Bologna. Dann besuchte er Mailand, Turin und auch Rom. Zunächst schaute er sich an, wie die italienischen Partisan*innen agierten und was er ihnen noch beibringen konnte. Im Bombenbauen gab es offenbar noch Nachholbedarf. Deshalb lehrte er sie die Konstruktion von Sprengkörpern und wie mensch Züge zum Entgleisen bringt sowie viele weitere Sabotagetechniken. Dabei hatte er immer eine alte, zerknitterte Tasche bei sich. Eines Tages wurde er gefragt, was er darin aufbewahren würde. Dario öffnete sie und holte ein paar Klamotten und persönliche Gegenstände hervor und ein paar mit Sprengstoff gefüllte Patronen.

Diese Tour war für Barontini sehr wichtig. Denn Dario kümmerte sich nicht nur um die Kampfverbände in den Wäldern, sondern er organisierte und unterstützte auch die Gruppen, die in oder in der Nähe der Städte wohnten, quasi in der unmittelbaren Umgebung des Feindes. Gemeint sind die sogenannten „Gappisti“, die Angehörigen der Gruppi di Azione Pattriotica (GAP). Diese Aktionsgruppen waren am 20. September 1943 von der PCd’I ins Leben gerufen worden. Sie unterstanden dem militärischen Arm des Nationalen Befreiungskomitees (CLN), das selbst erst wenige Tage zuvor, am 9. September 1943, von den antifaschistischen Parteien Italiens gegründet worden war. Dem CLN unterstanden fast alle weiteren Partisanenverbände. Die Männer und Frauen (!) agierten in Florenz, Bologna, Reggio Emilia, Mailand, Turin, Padova, Venedig, Belluno und andernorts. Es gab zwei Arten von GAP: Zum einen die GAP di zona, die Aktionsgruppen in den Außenbezirken, die die Organisation und Durchführung von Sabotageakten inne hatten, das Auslegen von Krähenfüßen, die Zerstörung von elektrischen und telefonischen Leitungen sowie das Sammeln von Waffen und Munition. Zum anderen gab es die GAP centrali, Angriffsgruppen, die als Stadtguerilla mit blitzschnellen Aktionen eingreifen sollten. Sie zerstörten Kommandanturen, zentrale elektrische und telefonische Leitungen, wichtige Zugstrecken und Verkehrsknotenpunkte, sie griffen faschistische und nazistische Truppen in den Städten an und zerstörten militärisches Material und Stützpunkte. Und sie konnten Tipps zum Bombenbauen gut gebrauchen.

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Neben den bereits erwähnten GAP gab es außerdem die Squadre di Azione Patriottica (SAP). Sie organisierten die Streiks der Arbeiter*innen und andere Aktionen des zivilen Widerstands. Auch um den Aufbau dieser Strukturen kümmerte sich Dario, bevor er Befehlshaber der gemeinsamen Partisan*innen-Verbände in der Emilia Romagna (Comando Unificato Militare, CUMER) wurde. Unter seinem Kommando wurde auch die entscheidende Schlacht an der Gotischen Linie gekämpft. Mit einer großartigen Aktion am 7. November 1944, an der 300 Partisan*innen beteiligt waren, gelang es ihm, die Zone von Porta a Lame bis Bologna von der feindlichen Belagerung zu befreien. 1500 Feinde, darunter Deutsche und Schwarze Brigaden wurden in einem fast 24-stündigen Gefecht geschlagen. Nachdem er den Alliierten ein befreites Bologna übergab, wurde Dario der Bronze-Stern vom britischen General Harold Alexander mit den Worten überreicht: „Wir kennen uns ja bereits aus Afrika. Ihr Kommunisten seid einfach überall.“ Die Ehrenbürgerschaft der Stadt mit der ältesten Universität der Welt folgte wenig später. Nachdem Bologna befreit war, zog Dario nach Monte Forni und später nach Modena weiter, wo er zusammen mit anderen Partisan*innen weitere Städte befreien konnte.

Ilio Barontini lebte bis 1945 im Untergrund und organisierte den klandestinen Widerstand in verschiedenen europäischen Ländern und in Abessinien. Als der Krieg vorbei war, kehrte er nach Livorno zurück, wo er eine starke und lebendige Kommunistische Partei mit dem Bürgermeister Furio Diaz an der Spitze vorfand. Er übernahm den Posten des Sekretärs und engagierte sich für den Aufbau eines antifaschistischen Italiens und den Wiederaufbau des vom Krieg zerstörten Landes. Ab 1948 saß er als Senator im italienischen Parlament. Am 22. Januar 1951 starb Barontini zusammen mit zwei weiteren Kommunist*innen auf tragische Weise bei einem Autounfall auf dem Weg von Florenz nach Livorno, wo er am 30. Kongress der Kommunistischen Partei teilgenommen hatte. Sehr viele Menschen erwiesen ihm die letzte Ehre. Posthum wurde Dario der Rote Stern der Sowjetunion verliehen. Auch Straßen und Plätze in Bologna, in Cecina (bei Livorno) und in anderen Städten wurden nach diesem großen Partisanen benannt.

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Wir, die Brigata Amaranto, möchten mit dem Namen unseres Heftes vor allem den militanten Antifaschisten und antagonistischen Aktivisten Dario ehren. Wir sehen uns weniger in der kommunistischen Tradition von Ilio Barontini, sondern betrachten eher seine Fähigkeit verschiedene progressive Spektren im gemeinsamen Kampf für die Soziale Revolution – vom Anarchismus über den Sozialismus bis zum Kommunismus – zu vereinen als erstrebenswert. Die Freiheit, für die er in Italien, Spanien, Frankreich und Abessinien kämpfte, ist längst nicht erreicht. Und noch immer heißt es:

La lotta continua!

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