Wir weinen nicht mehr, wir kämpfen!

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Vor knapp einer Woche, am 6 September, fand im Mehringhof eine Veranstaltung zur Repression in Spanien statt. Anlaß war das aktuell laufende Verfahren gegen Alfon, Aktivist und Ultra von Rayo Vallecano aus dem Madrider Stadtteil Vallekas. An seiner Seite saß Elena, die Präsidentin der Initiative Madres Contra la Represión (Mütter gegen Repression). Sie war es, die folgendes sagte: „Wir Mütter weinen nicht mehr, wir kämpfen.“

Das klingt ziemlich eindeutig. Aber es ist leider nicht so selbstverständlich. Schließlich sind viele Menschen in Spanien sowohl ökonomisch und sozial als auch politisch massiv unter Druck. Das Land kämpft, seit Ende 2007 die spanische Immobilienblase geplatzt ist, wie auch andere Länder der europäischen Peripherie (Portugal, Italien, Griechenland) mit einer Rezession. Die Arbeitslosigkeit ist massiv gestiegen. Vor allem Jugendliche baden die Krise aus. So sind über 50 Prozent der jungen Menschen unter 25 Jahre arbeitslos. Hinzu kommen repressive Sondergesetze und eine Explosion der Ausgaben für die Sicherheitsbehörden. Bis heute stiegen diese Mittel um über 1.780 Prozent, während gleichzeitig die Sozialausgaben auf Geheiß der Troika – zusammengesetzt aus dem Internationalen Währungsfonds (IWF), der Europäischen Zentralbank (EZB) und der Europäischen Kommission – zusammengestrichen wurden. Im Grunde ist nicht verwunderlich, daß die Sicherheitsbehörden massiv aufgerüstet wurden. Schließlich steigen mit jedem weiteren Jahr der Krise der existenzieller Druck und die sozialen Spannungen. Konflikte eskalierten bereits mehrfach und sie werden auch in Zukunft nicht kleiner werden.

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Alfon, mit dem ich vor der Veranstaltung kurz reden konnte, wurde Anfang der 90er in Vallekas geboren. Der Stadtteil ist ein Arbeiterbezirk mit einer langen kämpferischen Tradition. In den 60er und 70er Jahren zogen viele Spanier*innen aus den verschiedenen Regionen auf der Suche nach Arbeit in die Hauptstadt und fanden billige Wohnungen in Vallekas. Aktuell steigt der Anteil an Migrant*innen-Anteil vor allem von Menschen aus dem Maghreb und Lateinamerika. Alfon ist, seit er dreizehn ist, politisch aktiv. Radikalisiert wurde er nach der Ermordung des Antifaschisten Carlos Palomino, der am 11. November 2007 von einem Nazi erstochen wurde. Der Tod von Carlos war übrigens auch der Anlaß für die Gründung der „Madres“, die sich aufgrund von Repression und Nazi-Gewalt organisierten. Sie konnten zum Beispiel im Fall von Carlos erreichen, daß sein Mörder für ein Haß-Verbrechen verurteilt wurde.

Eines der tragenden Säulen der sozialen Bewegung und des Protestes in Vallekas sind die Bukaneros (bedeutet Piraten). Seit 1992 ist diese antifaschistische Ultra‘ Gruppe im Stadtteil aktiv. Sie supporten nicht nur das Team von Rayo Vallecano, sondern organisieren auch Info-Veranstaltungen über die Geschichte von Vallekas und die Tradition des Viertels, das immer wieder Zentrum sozialer Kämpfe war und ist. Seit die Krise sich verschärft hat, verteilen die Bukaneros vor den Heimspielen Essen und Trinken an die Bevölkerung. Im letzten Jahr waren dies zum Beispiel 400 Tonnen Spenden. Da es immer mehr Familien ohne Einkommen gibt, haben sie zu Weihnachten Geschenke für die Kinder gesammelt. Außerdem haben sie sich sowohl an der Organisation als auch der Durchführung der verschiedenen Generalstreiks in Spanien beteiligt.

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Dieses Engagement und selbstverständlich ihr strikter Antifaschismus haben die Bukaneros in den Fokus der Sicherheitsbehörden gerückt. Sie sind nicht nur als Aktivist*innen mit Repression konfrontiert, sondern sehen sich mit einer massiven Kriminalisierung als aktive Fußballfans konfrontiert. Wurden die Maßnahmen gegen die Gruppenmitglieder sonst im Rahmen des sogenannten Sportgesetzes begründet, forcieren die Behörden nun ein Verbot der Gruppe als „Kriminelle Vereinigung“. Das bedeutet, daß jede*r Bukanera*o zu einer Haftstrafe ab mindestens 8 Jahre verurteilt werden kann. Dieser Vorwurf geht auf einen Vorfall Ende 2011 zurück. Am 4. Dezember spielte Rayo am 15. Spieltag der Primera División gegen Atlético Madrid. Wie immer trafen sich die Fans zum gemeinsamen (unangemeldeten) Marsch zum Stadion. Kurz vor dem Estadio Vicente Calderón kam es zum Angriff von Nazis der Frente Atlético mit Steinen und Flaschen. Die Polizei kümmerte sich nicht um die Angreifer*innen von Atlético, sondern attackierte die Rayo Fans. Sie wurden gekesselt. Sie mußten eine Stunde knieend Schläge, Beleidigungen, Drohungen und rassistische Kommentare über sich ergehen lassen. Ihre Personalien wurden aufgenommen und sie wurden durchsucht, wobei keinerlei Waffen gefunden werden konnten. Dennoch mußten sie ihre Tickets abgeben und konnten das Spiel nicht sehen. Außerdem wurden fünf Personen in Untersuchungshaft gesteckt.

Die Maßnahme der Polizei hatte am Ende folgendes Ergebnis: 126 Menschen sollen eine Strafe von je 6.000 Euro pro Person wegen Landesfriedensbruch, Beleidigungen und Bedrohungen zahlen. Vier weitere Fans müssen 12.000 Euro Strafe für Landesfriedensbruch und Angriffen auf Polizisten auf die Beamt*innen zahlen. Eine Person soll 12.000 Euro Strafe wegen Angriff auf einen gegnerischen Fan und die Polizei zahlen. Alle 131 bekamen 2-jährige Stadionverbote. Die Gesamtstrafe für die Gruppe aus dieser Maßnahmen waren 816.000 Euro. In der Zwischenzeit sind dazu, wie mir Alfon erzählte, weitere Strafen hinzugekommen. So daß bis heute Zahlungen in einer utopischen Höhe von 1 ½ Millionen aufgehäuft wurden. Diese Strafen müssen übrigens sofort gezahlt werden, was nichts anderes als Verschuldung bedeutet. Sie werden allerdings nach jahrelangen juristischen Auseinandersetzungen meistens gekippt. Die Verschuldung bleibt selbstverständlich. Deshalb muß bei diesen Strafen von einer ökonomischen Einschüchterung gesprochen werden, die übrigens zunehmend auch soziale Aktivist*innen und unorganisierte Menschen betrifft, die sich an Demonstrationen oder Streiks beteiligen.

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Aber kommen wir zum Fall von Alfon zurück. Am 14. November 2012, an dem Tag hatten Gewerkschaften aus verschiedenen europäischen Ländern gemeinsam zum Streik aufgerufen, wurde Alfon von Beamt*innen einer Einheit der politischen Polizei festgenommen. Weitere 140 bekannte Aktivist*innen, die von vermummten Beamt*innen verhört wurden, kamen in Gewahrsam. Außerdem gab es zahlreiche Durchsuchungen in Wohnungen, darunter auch in den Räumlichkeiten der Bukaneros. Die Polizei hat bei ihnen wie auch bei Alfon, der lediglich ein paar Böller bei sich hatte, „Sprengstoff“ gesucht. Gefunden wurden Pyrotechnik, die zur Feier des 20-jährigen Bestehens der Bukaneros zum Einsatz kommen sollte, Küchenutensilien, Lösungsmittel, Farbe und Stoff, das für Material und Choreos verwendet wird, Sportgeräte zum Training von Selbstverteidigung und Fahnenstangen. Kurz: Nichts ungewöhnliches für Ultras. Obwohl keinerlei „Sprengstoff“gefunden wurde, nahm die Polizei alles mit, was Hinweise auf Mitglieder der Bukaneros geben konnte. Außerdem wurdeein Computer, ein Laptop und einige SD-Karten beschlagnahmt.

Die 140 rund um den Generalstreik und die Auseinandersetzungen mit der Polizei Inhaftierten kamen zunächst frei – nur Alfon ging in den Knast. Ihm wurde „sozialer Aufruhr“ vorgeworfen, ein Tatbestand, der seit einer Strafrechtsreform im Jahr 2003 gar nicht mehr verfolgt wird. 56 Tage saß er im Gefängnis – als politischer Gefangener. Denn er wurde nach dem F.I.E.S. (Ficheros de Internos de Especial Seguimiento) kategorisiert, was eine verschärfte Haft bedeutet, die für schwerste Verbrechen, organisierte Kriminalität und Terrorismus verhängt wird.. Hier mal ein kurzer Zwischenhinweis an dieser Stelle: Das F.I.E.S. wurde Anfang der 90er eingeführt und mehrfach verschärft. Zurzeit sitzen in spanischen Haftanstalten mehr politische Gefangenen ein, als zu Franco-Zeiten.. Alfon wurde in die fünfte F.I.E.S. Kategorie, die leichteste, eingeordnet, die Isolationshaft, Kontakteinschränkung und Überwachung der Kommunikation bedeutet. Nach 56 Tagen wurde er endlich, auch aufgrund des Engagements der Bukaneros, der „Madres“ und anderer, die Öffentlichkeit herstellten, freigelassen.

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Diese Einbindung in soziale und politische Strukturen, so erzählte Alfon, hat ihm im Knast geholfen. Wenn Menschen da sind, die auf die individueller Kriminalisierung eine laute Antwort geben, die für eine öffentliche Wahrnehmung sorgen und vor allem Solidarität organisieren können, dann fällt es den Behörden schwerer ihre konstruierten und teilweise illegalen Vorwürfe durchzusetzen. Die Repression betrifft aber sehr viel mehr Menschen, die aber unsichtbar bleiben. Auf die Unsichtbaren, auf jene, denen das Haus weggenommen wird, die bei Demonstrationen festgenommen werden und eine Woche später Strafen in Höhe von mehreren Tausend Euro zahlen sollen, auf diese Unsichtbaren hat Alfon im Gespräch noch mal explizit aufmerksam gemacht. Auch Elena, von den „Madres“, ist bewußt, daß nur Organisation und Solidarität sie gegen die zunehmende Repression schützen kann.

Alfon blieb aber nicht der einzige Bukanero, der verhaftet wurde. Dreizehn weitere folgten ihm. Ihnen wird aber nicht, wie sonst üblich, Vorwürfe im Rahmen des Sportgesetzes oder „sozialer Aufruhr“ angelastet, sondern gegen sie wird wegen „Bildung einer kriminellen Vereinigung“ ermittelt. Und an dieser Stelle wird es tatsächlich nicht nur für die Kriminalisierten wie Alfon, die 131 Bukaneros, die seit Dezember 2011 kriminalsiert wurden, und den 13 zuletzt Festgenommen gefährlich, sondern für alle Mitglieder der Bukaneros oder jene, die von den Beamt*innen als solche bezeichnet werden. Aus diesem Grund ist es wichtig für Öffentlichkeit zu sorgen, zu informieren und solidarisch zu sein. Nicht nur mit Alfon, dessen Verfahren am 18. September beginnt, sondern auch für alle Kriminalisierten aktiven Fans und Aktivist*innen!

Dieser Beitrag wurde am vergangenen Freitag im Ultra Unfug #202 zum Spiel gegen Carl Zeiss Jena veröffentlicht. Zu diesem Spiel waren einige Unterstützer*innen anwesend, die in der Nordkurve ihr Banner aufgehängt sowie Material verteilt haben. Nach dem Spiel wurde eine Bild gemacht, um Alfon einen kleinen solidarischen Gruß nach Madrid zu schicken.

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Ich möchte an dieser Stelle außerdem darauf aufmerksam machen, daß am morgigen Dienstag auch in Berlin eine Solidaritätskundgebung für Alfon stattfindet. Kommt zum Instituto Cervantes in der Rosenstraße 18 (Nähe Alexanderplatz).

☆ LIBERTAD PARA ALFON ☆
16.09.14 | 12 Uhr | Instituto Cervantes

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