Fußball, Gender und Diskriminierung

Das Freiland in Potsdam ist ein neuer Freiraum, der seit Frühjahr diesen Jahres allmählich entdeckt und nutzbar gemacht wird. Das erste größere Event war das diesjährige Ultrash! mit Konzerten, Filmen und Ständen. Zur Zeit gastiert die Ausstellung Tatort Stadion auf dem Gelände.

Tatort Stadion, die „Ausstellung über Rassismus und Diskriminierung im Fußball“, ist in einem Nebengebäude auf dem Gelände des Potsdamer Freiland zu sehen. Neben den verschiedenen Aufstellern, den zahlreichen T-Shirts und anderem Material haben die verantwortlichen Ultras vom Filmstadt Inferno einige zusätzliche Transparente aufgehängt, die üblicherweise in der Nordkurve hängen. Außerdem sind aus drei älteren Orten neue Aufsteller dazu gekommen. Bielefeld thematisiert, wie schon berichtet, die Diskriminierung oder auch den Umgang mit vermeintlich behinderten Menschen im Stadion. Die aktive Bremer Fanszene berichtet, wie durch Engagement und Intervention gegen Nazis allmählich eine stärkere Sensibilisierung gegen jegliche Form der Diskriminierung erreicht werden konnte. Die Antidiskriminierungs-AG von Werder Bremen leistet hierbei seit Jahren eine hervorragende Arbeit. Einen weiteren Aufsteller haben die aktiven Fans des TSV 1860 München beigesteuert. Die Löw*innen haben außerdem auch ein Hammer Rahmenprogramm auf die Beine gestellt. Super!

In Potsdam wird die Ausstellung bisher auch sehr gut angenommen. Die Eröffnung am 28. August war sehr gut besucht. Auch die begleitenden Veranstaltungen zu den Themen Sexismus, Homophobie wurden und die kommenden zu Gender und Sport sind beziehungsweise werden gut angenommen. Wobei erwähnt werden sollte, daß ich gestern von der Veranstaltung zu homophober Diskriminierung wenig mitbekommen habe. Ich war nämlich um ’ne Stunde zu spät und die Diskussion hab ich aufgrund Schüchternheit und akademischer oder auch mediterraner Leichtigkeit ebenfalls verpaßt. Die Schulklassen die demnächst kommen werden, sind ganz bestimmt pünktlicher. Aber jut…

Bezüglich der Veranstaltungen finde ich persönlich ja das Thema Gender zur „Konstruktion von Zweigeschlechtlichkeit und deren gesellschaftliche Auswirkungen“, das am kommenden Mittwoch vorgestellt und hoffentlich kontrovers diskutiert wird, insbesondere in Bezug auf kollektive Identitäten und Zuschreibungen in den Kurven besonders spannend. Dieser Diskurs führt meiner Ansicht nach mehrere Aspekte der Selbstpräsentation vor allem auch von Ultrà-Gruppen und deren Attribute zusammen. Der territoriale Herrschaftsanspruch und der inklusive Imperativ zur Unterstützung eines Vereins und der Farben wird nicht selten mit hetero-normativen Zuschreibungen verknüpft, wobei die vermeintlich „männlichen“ Eigenschaften wie Stärke, Kraft, Durchsetzungsvermögen, Athletik usw. betont werden. Gewalt und Sexismus, in Abgrenzung zu vermeintlich „weiblichen“ Eigenschaften, sowie Homophobie, um vermeintlich nicht genug „männliches“ Verhalten zu reglementieren, sind hierbei die konsequente Umsetzung genderspezifischer Konstruktionen und Zuschreibungen. Selbstreflexion und -kritik ist hierzu auch in (eher) antirassistischen und emanzipatorischen Kurven immer noch angebracht.

Ebenfalls erwähnenswert und vielleicht nach den Veranstaltungen sogar fruchtbar für eine Auseinandersetzung mit der (Jugend-) Bewegung oder besser dem Phänomen Ultrà könnte die Abschlußveranstaltung am 11. September werden. Jonas Gabler, Politologe und selbst Hertha Fan, wird aus seinem Buch Die Ultras über die Geschichte, die Regeln und identitären Konstruktionen dieser Bewegung aber auch über Erfolge im Kampf gegen Rassismus und Nazis im Stadion lesen.

Die Diskussion könnte hierbei durchaus an meiner älteren Kritik an der aktuellen Ausstellung ansetzen, wo ich die Aufsteller zu den Ultras als nicht so gelungen empfand. Gestern in Potsdam hab ich mir den Aufsteller nochmal angeschaut und war wieder etwas irritiert. Zusammen mit dem Aufsteller zu Ultras und Politik machen die Ausführungen aber Sinn. Außerdem mußte ich mir den Hinweis gefallen lassen, daß selbstverständlich die offene und emanzipatorische Ultrà-Kultur, die ich kenne, keineswegs repräsentativ ist. Außerdem muß ich mir wohl eine gewisse Romantisierung aufgrund der historischen Ursprünge – quasi der Ur-Ultras – in Italien der 60 / 70iger Jahre eingestehen. Aber gut, ich bin trotzdem fest vom emanzipatorischen Kern der Ultrà-Kultur und der dazugehörigen konsequent antagonistischen „Philosophie“ überzeugt. In Szenen wie bei St. Pauli und in Babelsberg kommt dieser Kern zum Tragen. Andere – die große Mehrheit leider – ist einfach nur die chauvinistische Aneignung jenseits der emanzipatorischen Aspekte. Aber, wie schon gesagt, das läßt sich gerne und ausführlich diskutieren…

Und weil es so viel darüber zu reden gibt, empfehle ich unbedingt die kommenden Veranstaltungen zu besuchen. Am nächsten Sonntag wird um 18 Uhr die D.I.Y. Doku „Football is freedom“ über die Fanarbeit in Darmstadt gezeigt. Am Mittwoch muß jede*r zum absoluten Highlight kommen! Nämlich zur schon erwähnten Veranstaltung „Gender. Nach dem Spiel ist vor dem Spiel“. Und die Lesung am 11. September sollte ebenfalls keine*r verpassen. Danach läßt sich der Erkenntnisgewinn bestimmt bei ein oder zwei Bierchen feiern! Na dann!

Ab ins Freiland – zu Tatort Stadion!

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