Gentrifizierung statt Heimatliebe

Ein Gespräch mit der Hipster Antifa Neukölln über verkürzte Gentrifizierungskritik, regressive Kiezhygiene und Ressentiments gegen Fremde.

Wir sind Fußballfans. Und als solche beinah schon dialektisch einerseits ein reisender Mob sowie anderseits ein an eine Heimkurve gebundenes Kollektiv. Zum heimischen Territorium gehört zu meist ein Stadion und der es umschließende Kiez. Territoriale Ansprüche werden nicht selten vor allem von vermeintlich unpolitischen oder rechtsoffenen Fangruppen chorisch mit Herrschaft („Hier regiert …“) aber auch mit Gewalt verknüpft. Die entsprechende Invasions- und Verteidigungsrhetorik gehört diesbezüglich nicht selten zur Fankultur. Es gibt aber auch emanzipatorische Ausnahmen, wie zum Beispiel in der Nordkurve in Babelsberg oder der Curva Nord in Livorno.

Wir, als Fans eines italienischen Vereins, fühlen uns bei jedem Besuch in Livorno sehr wohl. Attacken oder Anfeindungen haben wir nie erlebt. Viel mehr wurden wir sehr freundlich aufgenommen und akzeptiert. Obwohl wir die Stadt als eine Art geistige Heimat sehen, bleiben wir bei unseren Besuchen dennoch immer Gäste und kommen als Tourist*innen. In der Babelsberger Kurve dagegen sind wir zu Hause. Genau mit diesen beiden Gruppen, also diejenigen die der Tourismus in die Kieze führt und die Zugezogenen beschäftigt sich auch die Hipster Antifa Neukölln. Wir sehen beide Diskurse in einem im Rahmen stadtpolitischer Perspektiven durchaus gespalten, da sie mit kritikwürdigen Verdrängungsprozessen verknüpft werden und auf einer verkürzten Ebene auch sind. Deshalb die Frage, warum habt ihr euch im Mai gegründet? Und wieso springt ihr für „Touris“ und Zugezogene in die Bresche?

Wir sind der Ansicht, daß die Gegner von Hipstern, Schwab*innen, Tourist*innen, Zugezogenen, die nicht zufällig meist alle Feindbilder gleichzeitig pflegen, viele Dinge vermischen und zu einem diffusen Ablehnungsgefühl vereinen, daß sie letztlich selbst nicht richtig artikulieren können. Dieser Verdacht hat sich für uns durch die Äußerungen dieser Leute auf unserer Seite und den Erklärungen (links-)radikaler Anti-Gentrifizierungsgruppen bestätigt. Wütend sind die „Alteingesessenen“ gegenüber den Zugezogenen deshalb, weil sie Angst um ihr subkulturelles, links-romantisches Biotop haben. Sie sind im Grunde konservativ: Sie haben ihren Kiez, ihre Überlebensnischen, ihre politische Identität als linke Avantgarde etc. Und plötzlich kommen diese hippen Leute, die sich dafür nur sehr mäßig interessieren, die viel lieber Parties feiern und ihr Ego zur Schau stellen wollen. Ob mensch das mag oder nicht, ist eine rein individuelle Geschmacksfrage. Es jedoch aus einem Kontext linker, angeblich emanzipatorischer Politik zu kritisieren, verlangt mehr als die Erfindung des Neologismus „Touristification“ und ähnlicher Begriffe, die, auf ihren Gehalt überprüft, sehr leer bleiben. Wir setzen dem einen universellen Kosmopolitismus entgegen. Oder besser: wir verteidigen ihn gegen den Verrat derjenigen linken Gruppen, die so tun, als wäre Reisefreiheit und Kosmopolitismus nie Teil der Linken gewesen. Unser „Konzept“, wenn mensch das so nennen kann, ist es, eine Art kreative, provokante Intervention in die bestehende Debatte zu führen. Das heißt, was wir unternehmen um die Debatte in unserem Sinne zu kritisieren und zu verändern, richtet sich vor allem nach den aktuellen Ereignissen.

Ihr sollt ’ne Menge Aufkleber haben. Darauf werden Tourist*innen, Hipster und alle anderen Menschen als neu-allierte Partyfans willkommen geheißen. Hinzu kommt die provozierende Forderung nach mehr Aufwertung, mehr hippen Bars und Bioläden. Bedeutet eure Gentrifizierungsglorifizierung nicht eine Negation sozioökonomischer Verdrängungsprozesse, die vor allem in Neukölln mit rassistisch institutioneller Vertreibung von Migrant*innen, wie zum Beispiel von Sinti und Roma verknüpft sind? Reproduziert ihr nicht affirmativ ökonomische und politische Rechtfertigungen für eine postfordistische kapitalistische (Total-) Verwertung, statt emanzipatorische und kritische Diskurse aufzugreifen?

Wir sind nur gegen Gentrifizierung, wenn es den aktiven Betroffenen tatsächlich um ihr persönliches, individuelles Auskommen im Kapitalismus geht. Jeder von uns versucht sich gegen steigende Mieten zu wehren. Auch wir sind davon betroffen. Das ist selbstverständlich! Wir sind auch nicht für den Kapitalismus, aber wir sind dagegen, das strukturelle kapitalistische Faktoren auf Individuen abgewälzt werden, um diese dann als „Spekulanten“, „Gentrifizierer“ oder gar „Klassenfeinde“ bekämpfen zu können. Das führt dann zu Faustschlägen mit Kommentaren wie „Du bist Schuld, daß hier die Mieten steigen“. Mieten werden dadurch nicht gesenkt. Wir berufen uns auf die Kritik als Kritik der Negation. Mag sein, daß uns bürgerliche Medien, Politiker etc. für ihre Propaganda mißbrauchen. So what? Das haben sie im Grunde gar nicht nötig in einer gesellschaftlichen Totalität. Das macht es weder schlimmer noch besser. Wir wollen eher der Linken vorhalten, daß sie mit ihren populistischen Parolen und Aktionsformen nichts erreichen kann und sich was neues einfallen lassen muß.

Im Deutschlandradio gab es ein ausführliches Feature mit euch. Das Thema Gentrifizierung kam darin allerdings nur marginal vor. Im Interview mit der Berliner Zeitung sieht das ganz anders aus. Auch in anderen Äußerungen verweist ihr kritisch auf Verdrängungsprozesse in Neukölln, betont aber auch vorsichtig formuliert problematische Entwicklungen in der Gentrifizierungskritik. Könnt ihr bitte konkretisieren, welche Ressentiments ihr in Bezug auf Tourist*innen, Zugezogene, Künstler*innen, Student*innen und andere vermeintlich fremde Menschen erkennen könnt und inwieweit sie xenophob sind?

Diesen zugeschriebenen Zugehörigkeiten werden verschiedenste negative Eigenschaften angedichtet: Die Absicht der Zugezogenen soll sein, die „alterhergebrachte Kiezkultur“ verdrängen zu wollen, um ihre schwäbische Kleinstadt im Geiste auch in Berlin zu etablieren. Die Tourist*innen interessieren sich lediglich für den schnellen Konsum, schauen sich satt und wollen nur feiern, um dann (nachdem sie in Ecken gepißt und gekotzt haben) wie Heuschrecken wieder zu verschwinden ohne auf das „natürliche Leben“ im Kiez Rücksicht zu nehmen. Die Student*innen gehören nicht dazu, weil sie „die Regeln der Stadt“ nicht respektieren… Betroffenheitskitsch, Etabliertenvorrechte, Mißgunst sprudeln aus fast allen Bekundungen der Leute, die sich am lautesten über die genannten Gruppen auslassen. Erwartet mensch von Leute, die sich gegen Rassismus engagieren, die versuchen Asylsuchenden das Leben zu erleichtern, daß sie darüber debattieren an welchen Charakteristika man einen Ortsfremden erkennt, um ihn aus der Kiezkneipe zu verscheuchen? Wir erwarten genau das Gegenteil, daß Menschen aus aller Welt, ob den USA, Neu-Guinea oder Slowenien, sich aufhalten können, wo sie wollen. Diese kosmopolitische Errungenschaft wollen wir verteidigen gegen alle Tendenzen, die anstreben diese zurück zu nehmen. Wir sind also keine Hipster! Wir wissen gar nicht genau, was das sein soll außer einer Modeerscheinung, wie viele andere. Aber wir verteidigen das Recht all jener es zu sein bzw. sich so zu geben, ohne dafür auf die Schnauze zu bekommen.

Wieso habt ihr euch eigentlich Hipster Antifa genannt? Die Kulturpraktiken der Hipster*innen bestehen doch eigentlich eher darin den kapitalistischen Warenfetisch in Hyperspeed zu potenzieren und unter permanenten Einzigartigkeitszwang zu setzen. Hipster erscheinen deshalb zwar als subversiv und individuell bleiben aber in erster Linie flüssig, ihr politischer Anspruch durchsichtig und sie selbst im Ganzen ambivalent. Das positivste jenseits der Entsubjektivierung des Subjekts ist vielleicht die Queerness und Dekonstruktion heteronormativer Geschlechterzuschreibungen. Eure Selbstbezeichung als Antifa scheint zur eher „weißen“ Mainstreamjugendkultur ebenfalls nicht zu passen. Also, wieso verknüpft ihr den eher apolitischen Begriff der Hipster und Antifaschismus und warum?

Daß sich viele Linke in die Anti-Hipster und Anti-„Touristification“-Front einreihen ist es gerade, was wir torpedieren wollen. Das ist auch der Grund für den Namen unserer Gruppe: Wir wollen diese Leute provozieren. Denn wir haben selber einen linken Background und fragen uns, wie Leute, die sich links nennen, eine Feindschaft und Ressentiments gegen Fremde pflegen können. Insofern ist das Label auch inhaltlich richtig und nicht nur provokant. Uns ist aber klar, daß die „historische“ Antifabewegung gegen gesamtgesellschaftliche Phänomene anderen Kalibers angehen muß.

Was glaubt ihr, wie kommt mensch emanzipatorisch aus dem Dilemma der Selbstorganisation und Vermarktung als szenige Alternative heraus und kann Akzente jenseits der üblichen Exklusivitäts-, Ausgrenzungs- und Vereinheitlichungsdiskursen setzen?

Das geht nicht, solange die Leute nicht anfangen über das ganz andere sich praktisch Gedanken zu machen. Dazu gehört zu aller erst sich der eigenen Ohnmacht bewußt zu werden. Und Szene ist das genaue Gegenteil: nämlich die eigene Ohnmacht verdrängen, sich dem Spektakel und dem Racket hingeben. Die Antwort läge also, wenn überhaupt, in der Vereinzelung und nicht in der Bandenbildung irgendeiner Art. Das trifft übrigens auch auf uns zu, die wir uns eher als eine Art Arbeitsgemeinschaft zur Bekämpfung einer zeitlich und örtlich begrenzt auftretenden Sache begreifen.

Wir danken für das Interview. Vielleicht sehen wir uns ja mal in ’ner Yuppiebar, ’nem emanzipatorischen Kaffee in Neukölln oder sogar im Stadion…

Weitere Bilder gibt es auf der Facebook Seite der Hipster Antifas Neukölln

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