Wat’n Theater XII – Berührt Sein

Es ist wieder Heimspieltag und die nächste Kolumne steht an. Eigentlich wollte ich ja die Texte immer schon früher schreiben. Im Voraus quasi. Auf Vorrat. Ich wollte sowas wie nen Plan machen und einzelne relevanten Begriffe aus der Theatergeschichte abarbeiten. Zu ein paar bin ich ja wirklich gekommen. Und den Plan hab ich auch noch. Doch am Abarbeiten haperts leider. Aber schließlich sind wir in Babelsberg. Irgendwie gehört das chaotische und auf den letzten Drücker machen irgendwie dazu. Dabei hatte ich mir diesmal fest vorgenommen, wirklich schneller zu sein. Ich hatte sogar eine super Idee. Denn der letzten Heimspieltag inklusive Aktionstag für geflüchtete Menschen, mit noch mehr Fußball und Konzerte, hat mich ganz schon beeindruckt und noch Tage später mußte ich an diesen schönen Tag denken. Ich stand nämlich irgendwann beim Konzert von Irie Revoltes einfach da und war nur gerührt, unglaublich berührt und ergriffen. Schon bei Pyro One mußte ich bei dem ein oder anderen Track schlucken. Absoluter Hammer war auf jeden Fall der Pogo vor der Bühne. Ohne Grenzen. Einfach nur feiernde Menschen. Jung. Alt. Ohne oder mit Rollstuhl. Inklusives Abfeiern war das. Unglaublich. Schön! Dann kam Irie Revoltes. Wie immer mitreißend. Und wenn ein paar Dutzend Leute lauthals „Antifaschist“ singen, macht das schon was her. 

Solche Momente tiefer Ergriffenheit und Berührtsein gehen so schnell nicht verloren. Sie bleiben und bestärken mich, in Momenten, wo es dann doch mal richtig blöd läuft. Ich will ja nicht pathetisch werden, aber ich muß es jetzt mal loswerden. Solche Tage, diese Offenheit, diese diskriminierungsfreie und entspannte Atmosphäre, diese Begegnung und auch die Stille im Inneren, in diesem einen Moment, wenn zum Beispiel ein paar hundert Menschen Antifaschist singen, die sind es, die Nulldrei ausmachen und die mich immer wieder berühren. Das ist wirklich nicht selbstverständlich. Und manchmal bricht das Unerwartete, das doch selbstverständig sein sollte, durch und ist einfach da. Spür- und berührbar. Dafür möchte ich mich beim Verein, den Organisator*innen, den Künstler*innen, den ganz vielen Helfer*innen und denjenigen, die da waren und den Tag so besonders gemacht haben, bedanken. Fühlt euch hiermit umarmt und geküßt!

So! Aber genug des Pathos, kommen wir zum schnöden Diskurs zurück. Ich frag mich nämlich wirklich – statt einfach nur den Augenblick in der Erinnerung immer wieder neu zu genießen – wie kommt es eigentlich, daß gerade dieser Moment von mir als so berührend wahrgenommen wurde. Die Tage eine Woche vorher, ihr erinnert euch an meine letzte Kolumne zum Thema Freundschaft, waren ebenfalls der Hammer. Beim Trabi und dem Boot sind mir auch schlicht die Worte weggeblieben. Auch dieser Moment war so unglaublich und unvergeßlich, aber so berührend, wie so mancher Augenblick beim Aktionstag, fand ich ihn ehrlich gesagt nicht. Bei vielen Anderen, da bin ich mir sicher, mag das anders sein. Aber mich hat die inklusive Feierei beim Pyro One und Irie Revoltes Konzert krasser bewegt. Vielleicht liegt es daran, daß es so unerwartet kam, daß der Tag so aufregend begonnen hat, nette Gäste dabei waren, die Spaß in der Kurve und danach hatten, daß sich die Lieblings-Ultras über das Geschenk gefreut haben, daß Nulldrei mit einem legendären Ergebnis gewonnen hat, was aber durchaus hätte etwas weniger aufregend gesichert werden können. Vielleicht war es aber auch genau diese Mischung aus Aufregung, Freude, Freundschaft und unerwarteter Euphorie, also kurz der Cocktail positiver Gefühle, die den Tag als besonders aus dem alltäglichen Immergleichen hervorgehoben hat. Und wißt ihr was, diese Affekte, wie sie die Schauspieltheoretiker*innen zu nennen pflegen, haben tatsächlich ganz viel mit Theater zu tun.

Denn spätestens seit der französischen Klassik und erst recht seit Lessings berühmt berüchtigter „Hamburger Dramaturgie“ geht’s nur um Affekte. Überall sind sie und sollen sie sein. Das Schauspiel soll sie erwecken. Das Publikum soll Berührendes sehen und gerührt werden. Von den Bühnen, wo die Affekte nur so lodern sollen, wie das Feuer eines Bengalo, wo die Gefühle leuchten, wie so manch feiner Breslauer, und die emotionalen Spitzen wie Blinker blitzen, sollen die gespielten Empfindungen herab zum Publikum steigen und dort Widerhall finden. Sie sollen quasi gespiegelt werden. Die Absurdität von solchem Blödsinn, denn vom Zukucken kommt keine Ergriffenheit, scheinen die vermeintlichen Theatermodernisierer*innen aber nicht reflektiert zu haben. Hinzu kommt, daß die bürgerlichen Spaßverderber*innen immer nur Leiden auf der Bühne und Mit-Leiden im Publikum sehen wollten. Ich erinnere nochmal daran: Was auf der Bühne passiert, ist gespielt. Dort wird nicht gelitten, gefeiert, gestritten, geliebt oder sonst was. Es wird nur so getan, als ob. Und das soll das Publikum, also zum Beispiel auch ich, spüren? Naja…

Ich denke, zum Berührtsein gehört etwas mehr. Nämlich das, was ich weiter oben beschrieben habe. Ich muß irgendwie Teil der Performance sein, am besten ein irgendwie aktiver Teil des Ganzen. Außerdem denke ich, daß die Berührung am Besten funktioniert, wenn der Augenblick es schafft eine Art performativer Gemeinschaft zu schaffen, also ein Kollektiv ähnlich wenn nicht gleichtickender Herzen. Einfacher ausgedrückt, wenn für mich eine Gemeinschaft entsteht und ich mich als Teil dieser Gemeinschaft empfinde, bin ich gerührt und ergriffen. Ob ein Ereignis, daß die Beteiligten streng in Aktive und Passive, in Spieler*innen und Zuschauer*innen trennt, daß die Bühne möglichst durch eine vierte Wand vom Publikum abgrenzt, wirklich berühren kann, wage ich zu bezweifeln. Dann schon lieber aufregendes Chaos, chorische Affekte und Feierei. Mit Nulldrei! Forza!

Dieser Text erschien zuerst im Ultra Unfug #205

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