Wat’n Theater XVI – 100 Jahre Livorno

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Seit vielen Jahren fahren wir nach Livorno. Mindestens einmal im Jahr gönnen wir uns ein paar Tage Mittelmeerflair, die entspannte Atmosphäre einer untouristischen Hafenstadt und vor allem jeden Tag Kaffeespezialitäten und leckeres Essen. Sieben Jahre geht das nun schon so. Aber in dieses Mal war es was ganz besonderes. Denn der AS Livorno feierte sein 100-Jähriges mit drei Tagen Party. Und da wollten wir dabei sein. Schon Monate im Voraus haben wir die Flugtickets gebucht, Leute angehau’n uns zu begleiten und uns um ein interessantes Tagesrahmenprogramm bemüht. Wochen vorher war’n wir ganz aufgeregt. Und wie immer klappte alles am Ende doch erst ganz kurzfristig.

Am Ende war’n wir zu viert plus eins am Wochenende der Legenden. Denn wir bekamen alle die zu Gesicht, die wir sonst nur von Fotos oder aus Videos kannten. Der große Alessandro Diamanti, der so grandios die Play-Offs 2009 dominiert und Amaranto den Aufstieg in die Serie A geschenkt hatte, der seinen 11er bei der EM 2014 im Viertelfinale gegen England den Livornes* gewidmet hatte. Also: Alino stand nur ein paar Meter von uns entfernt und plauderte mit jungen Spieler*innen, Fans und Journalist*innen. Osvaldo Jaconi kannte ich nur aus huldvollen Posts und Berichten im Internet. Und dann waren wir ihm ganz nah. Der Hammer war aber, dass der große, grandiose, der größte livorneser Spieler-Ultra uns jeden Tag, von Samstag bis Montag über den Weg lief. Er stand beim Fest der Ultras mitten im Publikum. Er ließ sich schüchtern am Tag der Legenden des Vereins feiern. Zusammen mit Cristiano Lucarelli. Aber auch Spinelli, dem Inhaber und Präsidenten von Amaranto, der livorneser Anti-Legende. Sein Auftritt war komisch. Er wurde gefeiert. Dabei hat er immer wieder die Fans beleidigt, wollte die Kurve schließen, weil zu wenig Dauerkarten verkauft wurden, hat allerdings auch für sein Team die Beschimpfungen kassiert… Also, ich mag den Typen nicht. Und hab deshalb für ihn auch nicht applaudiert. Seine Aktion, daß die Ultras ihn nun abfeiern dürften, war auch nich gerade nett. Dieser Spinelli is schon wichtig für Livorno. Aber zur Legende taugt er nicht. Zur Antilegende aber schon.

Lucarelli hatten wir übrigens bereits vor einigen Jahren einmal gesehen. Als er sich 2010 von der Curva Nord verabschiedete und die B.A.L. Kapitänsbinde wieder zurück geben wollte. Die wollte sie aber gar nicht zurück. Denn irgendwie gehört diese Legende – nämlich die enge Verbindung zwischen dem Calciatore Guerrigliero und den Utras – zur Curva Nord, wie die vermeintlich stalinistische Grundausrichtung der Kurve. Und Legenden werden nicht fallen gelassen. Auch wenn sie wenig mit der Realität zu tun haben. Lucarelli war nämlich niemals ein Ultra, Kommunist oder sonst wie besonders progressiv. Im Übrigen: Auch Protti ist kein*e politisch korrekte*r Heilige*r. Beide sind ganz einfache Menschen – Ersterer hat die kommunistische Folklore geatmet. Der zweite hat sie aufgesaugt und fühlt sich wohl in dieser komischen Stadt mit den nettesten Menschen in Italien.

Und komisch ist es in Livorno tatsächlich. Auch diese ganz besonderen Tage hatten ihre unvergesslichen Höhepunkte, aber auch ganz dunkle Schatten. Was ich wahrscheinlich nie vergessen werde, sind diese ganzen alten Banner, die beim Fest der Ultras am Samstag präsentiert wurden. Es war alles da! Das alte, riesige B.A.L. Banner fand ich ehrlich gesagt nicht besonders spektakulär. Es war riesig und ich habs endlich mal in echt gesehen. Aber vom Hocker hats mich nicht wirklich gehau’n. Andere Banner dagegen schon. So hing zum Beispiel das Fossa Banner, das ich nur aus Erzählungen und von ganz wenigen Bildern kannte. Das ganz einfache Banner mit der Aufschrift Ultras Livorno mit Che zwischen den Worten aus den 80ern war ebenfalls am Start. Das Livornesi Banner hing ebenfalls. Auch der skurile Stalin-Lappen wurde präsentiert. Und was denkt ihr wo wir uns hingesetzt haben, um die Atmosphäre so richtig schön einsaugen zu können… Na… Na kommt schon… Na klar! Hinterm Stalin! Und gleich hinter uns saß Andrea, einer der Vorsänger*innen der legendären Magenta Ultras der 80er, die mit einem Graffiti in der Curva Nord verwewigt sind, der jetzt eine Pizzeria mit der leckersten Torta di Ceci hat, wo wir am Abend vorher noch gegessen haben. Wahnsinn.

Der Abend hatte aber leider nicht nur diese Hammer-Momente. Erst versaute Lenny Bottai mit einem Shirt mit der Aufschrift „Donbass Libero“ seinen Auftritt. Denn ich hatte mich echt darauf gefreut, den großen B.A.L. Capo endlich mal in echt zu sehen. Aber das is mir schnell vergangen. Und dann kam auch noch   Banda Bassotti mit ihrem Scheiß „No Pasaran“ Plastiklappen auf die Bühne, mit dem sie für ihre sogenannte „Antifaschistische Karawane“, also für ihre stalinistisch-imperiale Tour für Nationalist*innen, Monarchist*innen, christlich Fundamentalist*innen, Oligarchen-Söldner*innen und all ihre Handlanger Werbung machen. Echt gruselig. Dieser Auftritt hat mir echt alle Lieder versaut, die ich vor einiger Zeit noch so gerne gehört hab. Und mir wird im Magen ganz flau, wenn ich daran denke… Grrr…. Aber da müssen wa alle durch. Die Legenden der Jugend verabschieden sich leider eine nach dem anderen in den Altersstarsinn, der jede wohlwollende Kritik als blasphemische Abweichung von der allein seligmachenden Lehre verwirft und häretisiert. Naja! Sehr sehr ärgerlich…

Aber für mich wiegen die schönen Momente die Scheiße auf. Die Legendendemontage wurde eben doch durch Wärme, Freundschaft und verdammt viel und verdammt gutes Essen wie zum Beispiel im Melafumo zusammen mit Leuten aus Barcelona oder im La Barrocciaia in der Nähe des Marktes. Der Grappa in der Ultra Bar. Absolut unvergesslich is das Krallebräu in den Räumlichkeiten der neuen Gruppe 17 Febbraio 1915, mit denen wir zusammen mit viel Rauch, Bengalen und krassen BumBumBöllern in den (inoffiziellen) Geburtstag feiern durften. Ja! Das war wirklich schön. Und wer brauch schon Legenden. Außer vielleicht zum abgewöhnen!

Zuerst erschienen im Ultra Unfug #210

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