„Im Teddy heißt es: Kein Platz für Rassismus!“

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Das folgende Interview mit einem Fan von Hapoel Katamon Jerusalem erschien in der letzten Ausgabe des Ultra Unfug zum Spiel gegen den BFC Dynamo. Viel Spaß beim Lesen und kommt zum Info-Abend über Fußball in Israel am 16. April 2015 ins Haus2.

In ein paar Tagen kommst du nach Babelsberg und erzählst bei einer Veranstaltung am 16. April im Haus Zwei ein wenig über Fußball in Israel. Bitte stell dich doch schon einmal den Nulldrei-Fans und ihren Freund*innen vor.

Ich heiße Neria und bin Fan von Hapoel Jerusalem.

Aber dort gehst du nicht mehr hin, sondern zu Hapoel Katamon Jerusalem. Wie kam es dazu?

Ja, das ist richtig und ich bin nicht der Einzige. Fast alle Fans von Hapoel Katamon kommen ursprünglich von Hapoel Jerusalem. Wir verstehen den Klub als integralen Bestandteil unserer Identität und die große Mehrheit wünscht sich, wieder zurückzukehren, wenn die jetzigen Klubeigner*innen gehen. Hapoel Jerusalem ist ein Verein mit einer reichen Geschichte. Er wurde 1926 gegründet. Der Verein war sportlich nie besonders erfolgreich. Der einzige Titel ist ein Pokalgewinn 1973. Trotzdem war der Klub für Jahre eine Hauptstütze in der ersten Liga und in den 60ern und 70ern das führende Team in Jerusalem. Ende der 70er verkaufte aber Histadrut, der israelische Gewerkschaftsbund, das Stadion und das Gelände drumherum an ein Immobilienunternehmen. Diese Firma machte alles platt, sodass wir unsere Heimspielstätte verloren. Mitte der 90er verkaufte Histadrut auch noch den Verein selbst. Zwei wohlhabende Unternehmer übernahmen den Klub und retteten ihn damit vor dem Bankrott. Hapoel Jerusalem war in dieser Zeit relativ erfolgreich und kam 1998 sogar ins Pokalfinale. Die Klubinhaber stritten jedoch rasch um die Vorherrschaft im Verein, machten Schulden bei Kreditgebern, zahlten die Gehälter der Spieler*innen nicht und gerieten aufgrund ihres Verhaltens in Streit mit den Fans. Eine krasse Geschichte war zum Beispiel, dass die Eigentümer beim Saisonauftakt zu Hause die Security nicht bezahlt haben und die Fans vor verschlossenen Türen standen. Im Jahr 2000 stieg Hapoel zwangsweise in die dritte Liga ab. Das Team spielte so vor sich hin, der Verein hatte einen riesigen Schuldenberg angehäuft und es kamen aufgrund der Probleme mit den Klubinhaber*innen immer weniger Zuschauer*innen. Im Jahr 2007 trafen sich ein paar Fans und beschlossen den heftigsten Schritt zu machen, der in ihren Augen möglich war. Wir entschieden uns, unsere alte Liebe zu verlassen und einen neuen Klub zu gründen, bis unser alter Verein von seinen Räubern befreit sein würde. Katamon trat zunächst unter dem Dach eines bereits existierenden Vereins an, der sich Mevaseret Zion nennt. Diese Fusion hielt zwei Jahre. Aufgrund von Meinungsverschiedenheiten mit den Leuten von Mevaseret haben wir uns dann entschieden, uns wieder zu trennen und einen eigenen Verein zu gründen.

Das war also die Geburtsstunde von Hapeol Katamon Jerusalem. Was macht den Klub aus?

Katamon ist komplett im Besitz der Fans. Der Klub startete in der niedrigsten Liga – der fünften. In nur zwei Jahren schaffte es der Verein, in die dritte Liga aufzusteigen. 2013 stiegen wir in die zweite Profi-Liga auf, als erster von Fans geführter Verein überhaupt. Hapoel Katamon ist eine Genossenschaft, in die jede*r Fan eine jährliche Gebühr in Höhe von 1.200 Schekel [ca. 275 Euro, Anmerkung der Interviewer*innen] als Mitgliedsbeitrag einzahlt und so an Klubentscheidungen wie zum Beispiel über die Verwaltung des Vereinsbudgets, über die Trikots, die Wahl des Vorstands usw. beteiligt wird. Zurzeit haben wir ungefähr 520 Vereinsmitglieder.

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Wie ich schon sagte, sind die meisten Fans von Hapoel Katamon Anhänger*innen vom alten Hapoel Jerusalem gewesen. Es sind aber auch Leute dazugekommen, als sie hörten, wie der Verein geführt wird und welche Ansichten der Klub vertritt. Diese sind in erster Linie Gewaltlosigkeit, Antirassismus und Freiheiten für Fans. Ihr müsst wissen, dass es im israelischen Fußball üblich ist, dass Privatpersonen die Klubs besitzen – ganz anders als in Deutschland, wo den Mitgliedern 51 Prozent des eigenen Vereins gehören. Die Gründung unseres Vereins hat also eine Art „Revolution“ im sportlichen Bereich ausgelöst, die zur Gründung weiterer, selbstverwalteter Klubs geführt hat.

Die Fanszene in Babelsberg, besonders in der Nordkurve, ist klar antirassistisch und subkulturell geprägt. Wer sind eigentlich die Fans von Katamon und aus welchen Zusammenhängen kommen sie?

Wir haben viele junge Fans und Studenten. Viele Familien mit Kindern, Senioren und sogar Leute, die nicht in Jerusalem wohnen, unterstützen das Team. Letzteres ist auch etwas wirklich Neues in Israel. Bei uns sitzen Fans verschiedener Religionen nebeneinander. Jud*innen, Araber*innen und Christ*innen – alle kommen zusammen. Diese Tradition der Offenheit gegenüber den verschiedenen Kulturen haben wir von Hapoel Jerusalem geerbt, wo immer Araber*innen und Jud*innen zusammen in der Kurve standen und im Team spielten. Ich denke, dass die Form des Vereins als selbstorganisierter Klub uns die Möglichkeit gab, diesen Grundkonsens in den Vordergrund zu stellen. Vorher waren wir sehr stark mit dem Management beschäftigt oder damit, den alltäglichen Kampf ums Überleben zu führen.

Was heißt es, in Israel Fußballfan zu sein?

Hmmm… Ich denke, in Israel Fußballfan zu sein, ist nicht so viel anders wie in anderen Ländern. Wir empfinden dieselbe Freude nach Toren und Siegen und leiden auf dieselbe Weise nach Niederlagen. Israel hat keine eigene spezifische Fankultur. Alles scheint aus Europa oder anderen Teilen der Welt kopiert zu werden. Auch die Ultra-Szene ist noch sehr jung und versucht, eine eigene Identität zu entwickeln.

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Politik findet im Stadion meistens dann statt, wenn zwei Vereine mit verschiedenen Ansichten über den israelisch-palästinensischen Konflikt aufeinandertreffen. Sie wird durch rassistische Chöre oder das Wedeln der Nationalflaggen von Israel oder Palästina hör- und sichtbar. Meistens passiert dies bei Spielen von Beitar Jerusalem, dem lokalen faschistischen Verein, und Bnei Sakhnin, deren Fans palästinensische Nationalisten sind.

Katamon versteht sich dagegen als antirassistischer Verein. Was bedeutet das?

Wir möchten als antirassistischer Verein in erster Linie durch unser Verhalten ein Vorbild sein. Wir beweisen den Leuten, dass wir eine Umgebung schaffen können, in der sich jede*r willkommen fühlen kann, unabhängig von der eigenen Religion, Rasse, Gender, den sexuellen Vorlieben usw. Wer du bist, ist einfach kein Thema, wenn du ein Katamon-Fan bist. Um zu verstehen, wie ungewöhnlich das ist, musst du nur mal einen Blick zu unserem Stadtrivalen Beitar werfen, der eine offen rassistische Fanszene hat. Dort ist es Araber*innen und Muslim*innen verboten, für den Verein zu spielen. Die Beitar-Fans fallen oft durch rassistische Gesänge auf und sind an zahlreichen Übergriffen auf Araber*innen im Stadion und außerhalb beteiligt. Antirassistisch zu sein, bedeutet für uns, für eine bessere Zukunft in unserer Stadt zu kämpfen, die sehr stark entlang religiöser Linien getrennt ist und in der eine angespannte Atmosphäre zwischen Jud*innen und Araber*innen herrscht. Wir machen das, in dem wir einen Raum schaffen, wo Jud*innen und Araber*innen zusammenarbeiten, was sie sonst nicht machen.

Kannst Du dafür ein Beispiel nennen?

Ein Beispiel ist unser Nachbarschaftsliga-Programm. Dies ist eine Liga für Kinder aus der ganzen Stadt, die gemeinsam trainieren und sich einmal im Monat zu einem Turnier treffen. Das Programm ist eine gute Möglichkeit für junge Menschen, sich auf einer persönlichen Ebene kennenzulernen und so Intoleranz und Vorurteile abzubauen. Katamon arbeitet außerdem sehr eng mit der Jerusalemer Hand in Hand School [eine der sehr wenigen zweisprachigen Schulen in Israel, A. d. I.] zusammen, in der jüdische und arabische Kinder gemeinsam lernen. Diese Schule ist schon sehr lange Teil unserer Nachbarschaftsliga und die Schüler*innen besuchen seit vielen Jahren unsere Spiele. Die Schule wurde kürzlich von anti-arabischen Faschist*innen angegriffen, die einige Klassenräume abgefackelt haben. Der Verein reagierte schnell. Spieler*innen und Fans besuchten die Kinder einen Tag nach dem Brand, um sie aufzubauen. Außerdem hat der Verein die Kinder und ihre Eltern zu unserem nächsten Heimspiel eingeladen.

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Wir haben dann noch ein Banner anfertigen lassen, das beim nächsten Auswärtsspiel von unseren und den gegnerischen Spielern vom arabischen Verein Um El Fahem präsentiert wurde. Darauf stand „Love football – Hate racism“ in arabisch, hebräisch und in englisch geschrieben. Außerdem waren die beiden Team-Logos, das Logo der Schule und das Antifa-Logo aufgedruckt. Ich bin sehr froh, sagen zu können, dass unsere Spiele frei von rassistischem Verhalten sind und wir alle gerne willkommen heißen. Im Teddy [Teddy-Kolleg-Stadion im Stadtteil Katamon, A. d. I.] heißt es: Kein Platz für Rassismus!

Gibt es in der Fanszene Strukturen, in denen sich die aktiven Fans organisieren, und was machen diese Gruppen?

Hapoel hat eine Ultra-Gruppe. Die heißt Brigade Malcha und wurde 2006 gegründet. Brigade Malcha entstand bei Hapoel Jerusalems Basketball-Abteilung. Die Gruppe konzentriert sich auf den chorischen und visuellen Support zu Hause und auswärts – sowohl bei Hapoel Katamon Fußball- als auch bei Hapoel Jerusalem Basketballspielen. B.M. besucht die Katamon-Partien offiziell seit 2009, als der Verein von den Fans neugegründet wurde. Davor gingen die Mitglieder unorganisiert zu den Spielen und der Support wurde von normalen Fans dominiert, die ihre eigenen Banner und Fahnen mitbrachten. Die Aktivitäten der Brigade Malcha unterscheiden sich nicht von anderen Ultra-Gruppen. Das Team wird überall unterstützt. Es gibt Streetart, Merch wird verkauft, große Choreos zu den Fußball- und den Basketball-Spielen organisiert. Jedes Jahr führt die Gruppe Kleidersammlungen für bedürftige Familien durch und verteilt Essensspenden an den Feiertagen.

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Die Gruppe ist gegen jede Diskriminierung, inklusive Rassismus, Sexismus, Faschismus und Homophobie. Unsere Leute waren die erste israelische Fanszene, die eine LGBT-Fahne in die Kurve mitbrachte. Und bei jedem Spiel kann die Antifa-Fahne bewundert werden.

Hapoel Jerusalem steht also nicht nur für Fußball. Kannst du uns bitte erzählen, warum ausgerechnet Basketball auch so wichtig für die Fans ist?

Basketball ist deshalb wichtig, weil das Team von Hapoel Jerusalem der wichtigste Klub in der israelischen Liga ist. Der Verein hat viermal den Landespokal und 2004 den europäischen ULEB-Pokal gewonnen. Viele unserer Fans supporten sowohl das Fußball- als auch das Basketball-Team. Außerdem ist der Verein in der Stadt sehr beliebt und Tausende besuchen die Heimspiele.

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In der Meisterschaft bleiben nur noch wenige Spiele und Katamon ist immer noch Spitzenreiter der Liga Alef – der dritten israelischen Liga. Wie fühlst du dich dabei, deinen Klub da ganz oben zu sehen und hoffentlich den Aufstieg in die Liga Leumit – in die zweite Liga – zu schaffen?

Hmm… Dieses Jahr war wirklich interessant. Aus unerfindlichen Gründen haben die Idioten vom Fußballverband entschieden, dass wir in der nördlichen Sektion der dritten Liga spielen sollen, obwohl Jerusalem geographisch nicht annähernd nördlich einzuordnen ist. Diese komische Entscheidung brachte uns in Orte, von denen ich nie gedacht hatte, sie im Fußballkontext jemals zu Gesicht zu bekommen, inklusive arabische Dörfer und Kleinstädte ganz weit im Norden des Landes. Bisher war jede Auswärtsfahrt eine spannende Erfahrung. Ich freue mich auf diese Spiele. Und ich weiß wirklich nicht, wie ich mich bei dieser Entwicklung der Saison fühlen soll. Unser Team und die Spieler waren immer Looser. Das ist Teil unserer DNA. Sie bringen uns Herzattacken, sogar wenn sie gewinnen. Uns bleibt nichts anderes als abzuwarten, wie die Saison endet. Hoffen wir das Beste.

So, danke für das Interview! Wenn es etwas gibt, was du den Babelsberg-Fans sagen möchtest, dann hast du jetzt die Möglichkeit dazu.

Ich freue mich, euch alle in Deutschland zu sehen. Ich habe eine Menge über euren Verein und die großartigen Aktionen der Fans gehört. Ich denke, Katamon und Babelsberg haben viel gemeinsam. Wir sind beide kleine, warme, familiäre Vereine. Ich wünsche euch nur das Beste. Forza 03!

Vielen Dank! Und wir freuen uns, dich bald in Babelsberg zu sehen, gemeinsam in der Nordkurve zu feiern, mit dir zu reden und viel über das Leben und das Fansein in Israel zu lernen.

Bleibt nur noch euch alle zum Infoabend über Fußball in Israel am 16. April 2015 einzuladen. Also: Kommt alle. Und lernt Neria selbst kennen.

16. APRIL 2015 | 19 UHR | FREILAND | HAUS2
Friedrich-Engels-Strasse 22

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