Straight outta Malcha II – Saison 2016 / 2017

Ihr habt bestimmt schon mal was von Hapoel Katamon Jerusalem gehört. Manche durften auch bei den unglaublich netten Fans zu Gast sein. Damit ihr auf dem Laufenden bleibt, gibt es an dieser Stelle einen Saisonüberblick. Für all jene, die noch nichts von Katamon gehört haben, auch eine kurze Einführung in die Besonderheiten der Szene. Ich danke an dieser Stelle Neria, Nevo und Oren, die mir die folgenden Zeilen geschickt haben. Viel Spaß beim Lesen.

Hapoel Katamon wurde von unzufriedenen Fans von Hapoel Jerusalem gegründet. Nach mehr als einem Jahrzehnt im Besitz eines Korrupten und nach unzähligen unwirksamen Protesten gegen ihn, hatten sie beschlossen, ihren eigenen Verein zu gründen. Zunächst spielte Katamon als Team von Mevaseret Zion in der 3. Liga. Nach Problemen mit dem Management wurde die Zusammenarbeit nach zwei Jahren beendet. Wir haben lieber unser eigenes Team in der untersten Liga angemeldet und den Verein vollständig selbst geführt. Ich denke, der Unterschied zwischen den ersten Jahren und heute ist, dass unser Verein viel mehr im täglichen sportlichen und sozialen Gefüge von Jerusalem verankert ist. Wir sind bekannt und respektiert für unser sportliches und gesellschaftliches Engagement, während das Team in den Medien zunächst als temporäres „Projekt“ oder als Trend betrachtet wurde.

Die Strukturen im Verein sind sehr einfach. Es gibt einen siebenköpfigen Vorstand, bestehend aus drei gewählten Vertreter*innen der Fans und 3 Vertreter*innen der Sponsor*innen. Ein*e Generaldirektor*in ist für den täglichen Betrieb, das Personal, das Training usw. verantwortlich. Ein Ausschuss kümmert sich um die Finanzen. Die Mitgliedschaft im Verein ist auch ziemlich einfach. Jedes Mitglied zahlt 1.200 Schekel [ca. 300 Euro, AdÜ]. Minderjährige, Student*innen, Soldat*innen und Menschen in finanziellen Schwierigkeiten zahlen 750 Schekel [ca. 190 Euro, AdÜ]. Die Vereinsmitglieder wählen nicht nur ihre Vertreter*innen im Vorstand, sondern erhalten eine Übersicht und wöchentliche Berichte zur finanziellen Situation des Vereins. Wichtige Entscheidungen wie die Genehmigung des Budgets und das Club-Kit für das Jahr werden ebenfalls von Clubmitgliedern beschlossen. Seit der Gründung ist der Verein bis zur letzten Saison auf über 900 Mitglieder gewachsen, was darauf zurückzuführen ist, dass das Team in der zweiten Liga spielt und das Management gut arbeitet.

Saison 2016/2017 in der Liga Leumit, der zweiten israelischen Liga, war lange ziemlich enttäuschend. Fast alle Spiele haben wir verloren oder unentschieden gespielt. Grundsätzlich hat sich das Team zu unmotiviert präsentiert. Selbst in den Partien, die wir gewonnen haben. Der Wendepunkt war das Auswärtsspiel am 25. Spieltag gegen Maccabi Herzliya, das wir mit 4:0 gewonnen und im Auswärtssektor mit einem ordentlichen Auftritt begleitet haben. Danach kamen fünf Siege in Folge unter anderem auch gegen direkte Gegner aus dem unteren Teil der Tabelle, der Play-Out-Zone, was uns in die Play-Off-Zone (Platz 1-8) der Tabelle klettern ließ. Das Spiel gegen Herzliya war, da es die Wende in der Saison einleitete, mein persönliches Highlight. Ein weiterer Höhepunkt war der Sieg gegen Hapoel Jerusalem. Der Tiefpunkt war das Spiel auswärts in Nazareth, das wir mit 0:6 verloren haben. Die Aktiven spielten völlig emotionslos und gleichgültig, ein peinlicher Auftritt und eine Beleidigung für alle Fans, welche die lange Reise auf sich genommen hatten. Für die Fans, den Verein und die Aktiven war das Highlight der Saison definitiv, dass wir weiter bei den Play-Offs dabei waren, was ziemlich erstaunlich ist, weil wir die meiste Zeit der Saison unten drin hingen. So spielten wir um den Aufstieg und kämpften nicht gegen den Abstieg.

Die Fans des Hapoel Katamon FC fühlen sich bis heute auch immer dem Basketball-Team von Hapoel Jerusalem verbunden. In unseren Augen ist Katamon im Fußball das Gleiche wie Hapoel Jerusalem im Basketball. Beide gehören zusammen, wenn schon nicht in einem Vereinskörper, dann doch im gemeinsamen Geist der Fans. Deshalb ist es für mich und die anderen KatamonFans selbstverständlich, auch Hapoel Jerusalem zu unterstützen. Das war aber nicht immer so. Mitte der 2000er Jahre gab es eine Art Riss zwischen einigen der Fußball und Basketball-Fans wegen eines umstrittenen Sponsors des Basket-Clubs, der damals auch Besitzer von Beitar war. Aber er ist längst weg und es gibt ein neuen Besitzer, sodass viele Fans zurückkamen und wieder beide Teams unterstützten.

Seit Katamon von den Fans gegründet wurde, haben sich beide Vereine angenähert. Das hat auch mit unserer Ultra-Gruppe Brigade Malcha zu tun, die den Support bei beiden Vereine organisiert. Die Gruppe tut viel, um die beiden unterschiedlichen Fanszenen zusammenzubringen. Denn während die aktive Szene bei Katamon relativ klein und homogen, linksorientiert und sozial engagiert ist, werden die Hapoel Jerusalem Baskets von Menschen aus verschiedenen politischen und sozialen Spektren unterstützt. So gibt es beim Basketball auch zionistische bzw. nationalistische Fans. Das bedeutet nicht, dass es zu rassistischen Sprüchen kommt oder Rassismus in der Szene geduldet wird. Am besten lässt sich der Grundkonsens wahrscheinlich als unpolitisch charakterisieren. Beim Basketball bringen die Fans auch von Hapoel Jerusalem häufiger israelische Flaggen mit in die Arenen, was bei Spielen von Katamon niemals passieren würde.

Basketball Saison in Israel ist ziemlich hart umkämpft. An der Spitzenposition gibt es ständig Wechsel. Die größte Änderung im Vergleich zu den vergangenen Jahren ist, dass Maccabi Tel Aviv nicht mehr so dominant ist wie früher. Seit 40 Jahren haben sie fast jedes Jahr die Meisterschaft gewonnen. In den letzten 5 Jahren sind jedoch große Probleme im Verein aufgetreten, die dafür gesorgt haben, dass das Team die Meisterschaft nicht verteidigen konnte. So hat zum Beispiel 2015 Hapoel Jerusalem die Meisterschale geholt. In der aktuellen Saison führt gerade Eilat, eine Stadt aus dem fernen Süden des Landes. Die Saison ist noch im Gange und in den Playoffs spielen die Teams auf den Plätzen 1-8. Danach kommt eine Knock-out-Phase mit Halbfinale und Finale der besten 4 Teams. International waren die Baskets ebenfalls sehr erfolgreich. Das Team erreichte das Halbfinale des Eurocup und besiegte auf dem Weg dorthin starke Vereine wie Gran Canaria, Nizhni Novgorod, Ritas Vilnius, Zenit und so weiter. Das wichtigste und interessanteste Spiel war für mich jenes gegen Valencia im Halbfinale des Europacup, auch wenn die Serie riß und Hapoel verloren hat. Aber die Saison ist noch im vollen Gange. Ich hoffe, dass das letzte Highlight noch kommt und wir am Ende die Meisterschaft gewinnen werden. Diesmal gegen Maccabi im Finale zu gewinnen und quasi vor unseren größten Rivalen feiern zu können, wäre der absolute Hammer und würde mir noch mal mehr bedeuten als der Gewinn der Meisterschaft gegen Eilat.

Solch ein Finale würde wahrscheinlich auch die Wunden schneller heilen, die ein Vorfall in Valencia vor allem bei den aktiven Fans und Ultras gerissen hat. Hierzu muss ich sagen, dass es aufgrund der Kosten nicht so üblich für israelische Fans ist, nach Europa zu reisen. Deshalb planen die Fans in der Regel nur eine große Auswärtstour nach Europa pro Saison. Als die Baskets das Halbfinale erreichten, sollte es diesmal selbstverständlich dieses Spiel sein. 50 Fans inklusive der Ultras der Brigade Malcha flogen nach Spanien. Als sie ankamen, mussten sie feststellen, dass sich die Vereine nicht einen Gästesektor beziehungsweise einen Bereich für alle Hapoel Jerusalem Fans gekümmert hatten. So wurden sie in einen viel zu kleinen Sektor gesteckt. Nachdem klar war, dass der Platz nicht reichen würde, zogen die Fans in einen anderen Bereich, wurden aber sofort von den spanischen Cops mit Knüppeln angegriffen und minutenlang verprügelt. Aus Protest verließen alle die Arena. Draußen wurden sie allerdings von den Cops komplett durchsucht und zur Halbzeitpause vollends weggeschickt. Als Reaktion auf diesen Vorfall riefen die Ultras einen Stimmungsboykott aus. Auch aufgrund der mangelhaften Unterstützung durch den eigenen Verein sollte beim Rückspiel gegen Valencia in Jerusalem im ersten Viertel nicht supportet werden. Entgegen unsolidarischer Internettrolle, die diese Aktion heftig kritisierten, hielten sich die Fans an die Ansage der Ultras.

Unbedingt erwähnt werden muss, dass es in der Katamon Fanszene auch ein Fanzine gibt. Es heißt HaYatzia HaAdom – übersetzt Die Rote Kurve und wurde 2014 gegründet. Unser Fanzine wurde nach einer schrecklichen Saison gegründet, in der wir aus der zweiten in die dritte Liga abgestiegen sind. So war aber auch die Gelegenheit da, unser Engagement in der Kurve ohne die Erfolgsfans neu zu starten. Die erste Ausgabe war ziemlich dünn, nur acht Seiten, mit einem Interview mit Brigata Amaranto über Babelsberg und Livorno. In den ersten zwei Spielzeiten waren wir nur zu viert. Zurzeit sind wir 6 Personen, die für verschiedene Bereiche verantwortlich sind. Im Zine gibt es Spielberichte, Interviews mit Ultras und Fans aus der ganzen Welt. Wir schreiben über Fankultur in Israel und im Ausland, über Politik und Soziales usw. Wir sind übrigens nicht die Ersten, die ein Hapoel Jerusalem Fanzine machen. In den späten 90er und frühen 2000er Jahren gab es bereits eins, sodass wir eigentlich einen wichtigen Teil unserer Fanszene wiederbeleben, indem wir über unseren Verein und andere Fanszenen berichten.

Wir wollten schon immer eine Gruppe haben, die in der Lage ist, progressivere politische Ideen in die Fanszene zu tragen und eine alternative Fankultur zu fördern. Meistens konzentrieren sich die Leute, die zum Fußball gehen, 90 Minuten lang nur auf das Spiel. Wir wollten mehr und haben aber nix hinbekommen, bis Oren die Idee vorantrieb und endlich etwas draus wurde. Seitdem ermutigen wir die Fans zu lokalen Protesten gegen die Regierung und die Besatzung, gegen Rassismus, Homophobie und Diskriminierung. In den ersten Heften und auch davor haben wir eine Kampagne gegen Homophobie mit Stickern und Texten gestartet. Dadurch konnten wir den Kampf für LGBT-Rechte in unsere Fanszene tragen. Allerdings war das relativ einfach, da es zwar einzelne homophobe Sprüche in der Kurve gab, aber die queere Community akzeptiert war und ist. Außerdem half uns die Freundschaft zwischen der Brigade Malcha und Infamous Youth aus Bremen und die Akzeptanz im Verein, hierbei erfolgreich zu sein.

Sehr viel größer und aufwendiger war ein Projekt mit dem Eintracht Frankfurt Fanprojekt zu einer Wandmalerei auf der Grenze zwischen einem palästinensischen und einem jüdischen Stadtteil in Jerusalem, an einer stillgelegten und zum Spazierweg ausgebauten Bahnstrecke, die direkt zum Teddy-Stadion führt. Es ging uns um Toleranz zwischen den Nachbarn. Das Ergebnis kann sich sehen lassen.

Ein anderes Projekt war das Turnier „Fußball ohne Grenzen“, das am 5. Mai in Jerusalem stattfand. Das Turnier wurde in Zusammenarbeit mit unserem Verein Hapoel Katamon Jerusalem Fans, mit Geflüchteten aus Jerusalem und Internierten aus dem Lager in Holot, in der Negev Wüste organisiert. Beim Turnier spielten insgesamt 8 Teams. 5 bestanden aus internierten Geflüchteten aus Holot und Geflüchteten aus Jerusalem. In den 3 anderen Teams spielten Katamon Fans – eines von Hayatzia Ha’Adom, von der Brigade Malcha und ein weiteres gemischtes Team von Fans und psychisch kranken Menschen. Nachdem das Turnier vorbei war, gingen wir alle in den nahe gelegenen Park und hatten ein leckeres Mittagessen und genossen eine musikalische Aufführung eines sudanesischen Sängers. Danach sprachen zwei Vertreter*innen der Geflüchteten, um die Menge über die Probleme, die sie in Israel haben, und über die Situation in ihren Ländern zu informieren. Nach der Veranstaltung gingen wir alle zum Katamon-Spiel und genossen den 6:1-Sieg über Nazareth.

Ziel des Turniers war es, das Bewusstsein für die Not der Flüchtlinge in Israel zu wecken, die kein Asyl erhalten. Bei uns werden nur wenige Asylanträge akzeptiert. Meistens bekommen die Flüchtlinge 3-monatige Visa ohne Arbeitserlaubnis. Die israelische Regierung will die Flüchtlinge los werden und sperrt sie deshalb in Holot und in anderen reguläre Gefängnisse bis zu einem Jahr ein. Die Betroffenen sind in erster Linie afrikanische Flüchtlinge aus Eritrea und dem Sudan, die in der Wüste interniert werden, weil sie nach internationalem Recht nicht abgeschoben werden dürfen. Weiße Flüchtlinge dagegen, zum Beispiel aus der Ukraine und Georgien werden selbstverständlich nicht in solche Lager geschickt.

Unsere Botschaft zur Situation der Geflüchteten ist klar: Wir als politisch engagierte Menschen fühlen die Notwendigkeit, Mitgefühl zu zeigen und andere mit Respekt und Würde zu behandeln. Als Israelis fühlen wir uns verpflichtet, Menschen zu helfen, die aus Todesangst fliehen. Auch weil die israelische Waffenindustrie unter anderem an Eritrea Waffen verkauft und wir so indirekt selbst dafür verantwortlich sind, dass Menschen von dort fliehen. Deshalb wollen wir vor dem Unrecht der israelischen Regierung nicht die Augen verschließen. Denn wir sind alle Menschen. Und kein Mensch ist illegal.

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