Emotional zum Ideal – Zur Fandemo in Berlin

Der Auftakt der Kampagne Zum Erhalt der Fankultur der drei größten Fanorganisationen ProFans, die Nationalist*innen von Unsere Kurve und die engagierten Antifaschist*innen von B.A.F.F. startete am 9. Oktober mit einer Fandemo an der sich zahlreiche Fangruppen, Ultràs und Einzelpersonen beteiligten. Nach Angaben der Organisator*innen sollen es mindestens 10.000 Menschen gewesen sein.

Die Fandemo war somit ein voller Erfolg. Die zum Teil verfeindeten Fangruppen hielten sich zurück und demonstrierten gemeinsam für den Erhalt einer heterogenen Fankultur. Die Ultrà Gruppen dominierten sichtbar sowohl die Demo, als auch die Kritik daran. Außerhalb der Demo liefen alle diejenigen, die sich nicht recht trauten doch ihre Sympathie trotz der berechtigten Kritik zu zeigen, sowie haufenweise Zivis, Bereitschaftspolizist*innen, Fotograf*innen, Medienvertreter*innen und jede Menge Flyerverteiler*innen. Denn schließlich hatte (beinah) jeder Block sein eigenes Statement. Die Schickeria, übrigens im Alerta! Netzwerk, hatte die längste und sehr informative Erklärung. Am sympathischsten waren aber die Braunschweiger*innen. Richtig widerlich und voll mit Nazis war der Block des BFC Dynamo.

Die zahlreichen Berichte und Veröffentlichungen in den bürgerlichen Medien, wie unter anderen im Spiegel, dem Tagesspiegel, beim rbb, der Süddeutschen, bei Inforadio usw. sind keinerlei Erwähnung wert. Sie zeugen von einer dumpfen Stigmatisierung des Phänomens Fußball und der Fan*innen, die sich eher zur Kriminalisierung sowie Überwachung jeder Fankultur eignet, als daraus ernsthafte Beiträge für eine (interne) Diskussion entnommen werden können. Eine differenzierte Berichterstattung ist von dort nicht zu erwarten.

Es wird bewußt verdrängt, was aber viele Kritiken an der Demo aus der „Szene“ dominiert, daß nicht nur Ultràs im Stadion zu finden sind und selbst untereinander völlig unklar ist, welches „Ultràtum“ nun eigentlich das „wahre“, das authentischere und bessere wäre. Deshalb ist eine Kritik an der Demo, die sich lediglich darauf beruft, was Ultràs so tun, sagen, meinen und sowieso ganz böse sind, lediglich eine Verkürzung des Diskurses um eine gelebte sowie engagierte Fankultur. Das mensch nicht immer gegen Ultràs sein muß, diese aber durchaus kritisieren kann, hat Nicole Selmer in ihrem Beitrag zur Demo beim Ballesterer bewiesen.

Es finden öffentliche, kritische und vor allem auch selbstkritische Auseinandersetzungen von Ultragruppen mit der eigenen Subkultur statt, und zwar ohne den äußeren Druck aktuell drohender Stadionverbote oder sonstiger Restriktionen. Das wird auch gewürdigt: Die Jubos Dortmund berichten von vielen positiven Reaktionen, aus der eigenen, aber teilweise auch aus anderen Szenen.

Auch der Rest des Artikels lohnt sich, geht er doch sehr differenziert mit der Gewalt und der beginnenden internen Diskussion um Gewalt zwischen Ultrà-Gruppen und von ihnen ausgehend um. Hierbei sind die beiden Redebeiträge der Harlekinz, die allerdings den Überfall von eigenen Ultràs auf TeBe Fans beim „Karneval der Kulturen“ ausblenden, und der Schickeria, die auf die gewalttätigen Wurzeln der Ultràbewegung in Italien verweist, besonders zu erwähnen. Die Herthaner*innen werden durch diese Rede bei der Fandemo zwar nicht symphatischer, aber wenn sie Gewalt innerhalb ihrer Gruppe thematisieren, wird ein Gespräch zumindest möglich.

Neben dem echt guten Artikel von Nicole Selmer mut leider auch die unsägliche Abrechnung mit der Demo in der aktuellen Jungle World erwähnt werden. Unter dem Titel Männermob für Männerkultur fällt die*er Autor*in, die*er ein*e durchaus bemerkenswerte Künstler*in und Musiker*in ist, auf die performative (Selbst-) Inszenierung der bei der Demo anwesenden Ultrà-Gruppen herein, reproduziert lediglich die bekannten Vorurteile der bürgerlichen Fußballkonsument*innen, die weit entfernt von engagierter, emanzipatorischer Fanarbeit sind, und erkennt gar nicht, daß sich nicht wenige („normale“) Fans beteiligen und die Demo / Kampagne unterstützen.

Die absolute Frechheit ist aber, daß behauptet wird Nazis in Nazikleidung gesehen zu haben, obwohl das gar nicht erwünscht war. Vielleicht hätte die*er Autor*in einfach mal auf die Organisator*innen zu gehen und sie informieren sollen. Auch um zu sehen, wie die Demo mit offen sichtbaren Nazis umgeht. Das nicht offen erkennbare Nazis, neben Unmengen an Zivis und Bereitschaftspolizei, mitliefen, ist nichts Neues. Widerlich bleibt es auch. Und eine Distanzierung gegenüber rechtsoffenen Fanszenen, Antisemitismus, Rassismus, Sexismus und Homophobie ist und bleibt wichtig. Das klare Statement gegen Nazis und ihre Mode durch die Organistor*innen kann hierbei behilflich sein Diskussionen auch in der eigenen Kurve zu fördern.

Eine weitere Frechheit ist zu behaupten, auch wenn es einem Infamous Youth Ultrà in den Mund gelegt wird, daß „Übergriffe von rassistischen weißen Männermobs“ Alltag in Deutschlands Kurven sind. Richtig ist, daß es Gewalt gegen und Überfälle auf andere Fußballfans, Migrant*innen, LGBT-Menschen und andere im Umkreis von Fußballspielen immer wieder gibt. Nur sollte differenziert werden inwieweit Rassismus bei diesen „Übergriffen“ nicht eher bei Spielen der deutschen Nationalmannschaft relevanter sind. Der Fußballmob schlägt sich völlig demokratisch gegenseitig ohne besondere „rassischen“ Präferenzen. Wichtiger ist, daß der „Fremde“ nicht der eigenen Fanszene angehört. Migrant*innen, People of Colour und andere Marginalisierte werden dabei auch zu Opfern.

Genauso erstaunlich ist, daß die Kritik, die die Demo an Kommerzialisierung heterogen übt, indem Anstoßzeiten, die Regionalligareform, die willkürliche Auswahl der Trikotfarben und neben weiterer Kritik auch das Engagement von Unternehmer*innen und Unternehmen im Fußball thematisiert wird, in dem Jungle World Artikel gänzlich auf Rasen-Ball Leipzig und Dietmar Hopp verkürzt wird. Ähnlich unsauber werden durchaus problematischen Äußerungen von „Ultras aus Leverkusen, Ahlen und Mönchengladbach„, die sich auf „wahres“ Ultràtum, fairen Kampf und Ehre berufen, als relevante und offenbar wünschenswerte Kritik an der Demo hervorgehoben. Eine sehr viel bessere Kritik an der Demo, die explizit die fehlende antikapitalistische Analyse bei den Organisator*innen vermißt und deshalb nichts von der Kampagne und der Demo hält, wird aber weder erwähnt noch die Inhalte ansatzweise reflektiert. Die Resistenza Ultràs sek Düsseldorf verbinden den Diskurs um „den allgegenwärtigen kapitalistischen Verwertungsprozess und die Kontrollmechanismen von Polizei- und Sicherheitsdiensten“ mit einer grundsätzlichen und emanzipatorischen Forderung nach einer „Kritik an bestehenden Zuständen“ selbst.

Äußerst gruselig, reflektionsfrei, unkritisch und uninformiert, was die Jungle World zu der Demo abgeliefert hat. Bloß gut, daß es alternative Berichte von Nicole Selmer, B.A.F.F., der Schickeria, Dortmunder*innen und anderen gibt. Von dem Jungle World Artikel und der Veranstaltung von TeBe Fans, die offenbar doch eher zur Selbstbeweihräucherung der eigenen Fanszene gedacht war, ist derartiges nicht zu erwarten. Die Braunschweiger*innen sind da sehr viel weiter…

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1 Kommentar zu „Emotional zum Ideal – Zur Fandemo in Berlin“

  1. Ein Schritt zurück, zwei nach vorne… « URS – Ultras Roter Stern sagt:

    […] wären viele Männer in Neonaziklamotten unterwegs gewesen wären. Dazu aber mehr von der Brigata Amaranta Venticinque Aprile: „Die absolute Frechheit ist aber, daß behauptet wird Nazis in Nazikleidung gesehen zu […]