Nazis, Ultràs und Geschäfte

In Sachsen wurde vor einiger Zeit schon wieder ein Spiel von Roter Stern
Leipzig abgebrochen
. Nazis aus Mügeln und Umgebung hatten sich zur gemeinsamen
antisemitischen
Folklore
zusammengefunden. Der Bürgermeister von Mügeln, der schon bei der xenophoben
Jagd einiger ortsansäßiger Inder durch einen rassistischen Mob nach einem
Stadtfest nix von Nazis in Mügeln wissen wollte, sah und hörte auch
diesmal
nix. Das ist aber in
Deutschlands unteren Ligen
nix neues. Zunehmend werden (militante) Nazis
nicht nur auf den Rängen, sondern auch auf dem Rasen geduldet. Die Nazis auf
den Rängen nennen sich gerne Ultràs. Ihr Ziel sind zunächst „national befreite
Zonen“. In Italien sieht es da schon anders aus. Organisierte Fanstrukturen
drängen offen in lukrative Geschäfte rund um’s Stadion. Und Mr. Altravita hat wieder mal wieder seinen
Finger mitten in der Wunde und berichtet
erhellendes aus dem Süden. Er hat einen Artikel des ultrà-Kenners Paolo Berizzi zum
Teil übersetzt, der am 5. Mai in der La
Repubblica
erschienen ist. Hier ein paar Passagen.

ROM – Stecken wirklich nur innerstädtische Rivalität und
eine alte Fanfreundschaft hinter den Projektilen, die an Lotito geschickt
wurden und der Niederlage, welche die Lazio-Ultràs ihren Spielern im Spiel
gegen Inter “empfohlen” hatten? Reichte die tribalistische Anti-Roma-Logik
bereits aus, um die Erpressung durch die Banden aus der Nordkurve zu befeuern
oder steht, vor allem, in den Kurven weit mehr und schlimmeres dahinter als
das, was wir erst jetzt langsam sichtbar wird? “Wenn das nur alles wäre”
– erklärt ein verdeckter Ermittler des Innenministeriums, der heute Abend
wieder vor einem massiv befestigten Olympiastadion, das sich erneut in eine
Bühne für Auseinandersetzungen verwandeln wird, im Einsatz sein wird:
“Wenn
es nur so einfach wäre, das was vor und während des Spiels Lazio-Inter
abgelaufen ist, einfach als einfache Unsportlichkeit einordnen zu können. Das
Problem besteht darin, dass die Ultrás – und dieser Umstand gilt für alle
größeren Fanlager, insbesondere die der großen Städte – damit beginnen, ihre
Methoden zu verschärfen und ehrgeiziger werden. Viele Kurven sind bereits der
organisierten Kriminalität in die Hände gefallen. Die genau wissen, mit welchen
Methoden sie ihre Kontrolle ausüben und wie sie diese auf die Vereine
ausweiten. Das machen sie, offensichtlich, nicht umsonst. Sie tun das aus
wirtschaftlichen Motiven. Denn während es früher die Figur des Kurven-Chefs
gab, der eine Kleinigkeit beiseite legen konnte, indem er beim Ticketverkauf
etwas abschöpfte, gibt es heute wirkliche und wahrhaftige kriminelle
Organisationen, deren Interesse darin besteht, ihre Hände an die ganz großen
Einnahmen zu bekommen. Und diese entfesseln sich nun nicht mehr nur gegen die
Ordnungshüter, sondern auch gegen die Vereine. Die Nachricht, die es zu
verbreiten gilt ist: Wir haben das Sagen und wir sind jetzt Kriminelle. Punkt.

Wer in den Kurven ein und ausgeht und deren Entwicklungen
und Dynamiken studiert, kennt den Qualitätssprung genau, mit dem wir es zu tun
haben: er kennt den Virus, der die Legionen von Sonntagskombattanten infiziert
und sie in kleine Bezirke verwandelt hat,
“in denen alles möglich ist und
alles passieren kann”, um es wiederum mit den Worten des Ermittlers
auszudrücken. Die Situation dauert bereits seit mindestens zwei Spielzeiten an.
Und vielleicht nur zufällig fällt dieser Zeitraum zusammen mit der vom
Innenministerium verhängten verschärften Gangart, diesem “Druck”, der den
heißblütigsten der Fans das Leben so schwer macht. Die Auswärtsfahrtverbote.
Die personengebundenen Eintrittskarten. Dann die Fankarte, ein rotes Tuch in
den Augen der Ultràs, die dann auch folgerichtig auf Konfrontationskurs
gegangen sind (siehe die letzten Zusammenstöße der Doriani mit den
Ordnungskräften vor dem Derby am 11. April).


Dieser Wechsel der Gangart hat einen Ursprung und ein Datum.
Den 2. Februar 2007. Den Tod des Polizisten Filippo Raciti in Catania. Ab
diesem Zeitpunkt war nichts mehr wie es vorher war. Auch die Gewalt hat sich
gewandelt. Sie ist nicht verschwunden, sie hat sich nur neu organisiert.
“Es
handelt sich um eine anonyme Gewalt, ohne Regeln, und deshalb auch
gefährlicher, weil sie in jedem Moment ausbrechen kann” – analysiert Carlo
Balestri, Gelehrter und Kopf des “Progetto Ultrà”, dem Laboratorium, das vor 15
Jahren vom UISP (“Unione Italiana Sport per Tutti”) Emilia Romagna gegründet
wurde.
“Wir sind entweder an der Endstation oder im “Jahr Null” angekommen.
Es bleibt ein trostloses Szenario, in dem die positiven Aspekte, die es gab –
das Zusammensein, der Enthusiasmus, der Support, die Choreografien – gestorben
sind und damit Platz gemacht haben für das, was wir heute sehen: Auseinandersetzungen
zwischen Gangs, wobei manchmal alles von dem entschieden wird, der
starke Interessen hat und deshalb die Kurven unterwandert hat
. Genau wie es
in den großen Städten passiert.”

Das ist die harte Linie,
welche die neuen Mafiaclans des Tifo ausgerufen haben. Diejenigen, die weiter
blicken und die, dem Mafia-Modell folgend, auf niemanden mehr Rücksicht nehmen,
wenn es darum geht, die Kassen zu füllen. Und praktisch immer suchen sie die
direkte Konfrontation. Rom und Mailand. Und Turin. Das sind die Werkstätten der
Ultràs GmbH, die Firma, die ihre Fangarme nach allem ausstreckt, was es in- und
außerhalb der Stadien zu fressen gibt: Ordnungskräfte (Stewards), Parkplätze,
Merchandising, Eintrittskarten, Schwarzmarkthändler. Selbst die mobilen
Imbissbuden, oder “paninari”, wie sie in Rom genannt werden, wo die fliegenden
Händler den lokalen Mafiachefs der Kurven etwas „hinblättern“ müssen, wenn sie
ohne Scherereien arbeiten wollen.
“Es ist hässlich, das zugeben zu müssen,
aber hier haben sie alles in der Hand”, fügt eine weitere Quelle aus den
Reihen der Polizei hinzu, der sich mittlerweile als “Teil der Einrichtung des
Olympiastadions” versteht,
“Viele bekannte Gesichter aus den Kurven siehst
du an den Einlässen, wie sie den Zugang organisieren. Auch in der Tribüne
Tevere, wo früher ganz normale Leute saßen, findet man heute, während der
Derbys, Ultràs, weil die wissen, dass sie dort Welle machen können. Ich frage
mich: Wissen die Vereine das eigentlich?”

Auf jeden Fall haben diese
eines mittlerweile gemerkt. Die Kurvenchefs versuchen, die Klubs “kommisarisch
zu verwalten”. Ein Plan, der über Jahre ausgebrütet wurde und sich endgültig
Bahn brach, als sich die Ultrà-Bewegung – unter den Schlägen der Repression –
an einem Scheideweg wiederfand: verschwinden oder sich verwandeln. Daher kommt
diese verheerende Mutation. Mit der Ankunft der organisierten
Malavita,
die über die Spielerkäufe (oder -verkäufe) entscheiden will. Die Spielern
Ohrfeigen verabreicht (Turin am 6. Januar und 28. März, erst Toro, dann Juve).
Die die Spieler auf dem Trainingsgelände “warnt” (wie es dem Lazio-Spieler
Baronio vor dem letzten Lazio-Inter passierte,
“ihr müsst verlieren, sonst…”).


Die sich gegen den “modernen Fußball” aufstellt und derweil
den Griff ans Business verstärkt. Diese Wandlung beschreibt der Mailänder
Staatsanwalt Luca Poniz sehr gut, als er die Eröffnung des Hauptverfahrens
gegen den Clan der “Guerrieri” (zu siebt auf der Anklagebank) unterschreibt.
Jene Gruppe, die unter der Ägide des mehrfach vorbestraften Giancarlo Lombardi,
genannt “Sandokan”, einem Ferrari-Händler, die Mailänder Südkurve
kannibalisiert hatte:
“Unter dem Deckmantel einer angeblichen Fangruppe”,
schreibt er,
“korrespondiert die Wahl der Mittel mit einer typisch
kriminellen Logik, die sich zudem in völliger Übereinstimmung mit dem Profil
Lombardis befindet.”
Auch hier, wie in Rom mit Lotito, in Turin mit der
alten Vereinsführung der Juve oder Cairo als Präsident des Toro, haben sich die
Ultràs auf direkten Kollisionskurs zum Verein begeben. Wie wiederum Poniz
schreibt, über “ein klar einschüchterndes Verhalten gegenüber dem Verein AC
Milan, ließ die Organisation im Umgang mit dem Verein Methoden einfließen, die
aus der gewöhnlichen Kriminalität entstammen.” Die Strategie nennt sich
“Beeinflussung der Umweltbedingungen”. Bengalos, die auf das Spielfeld geworfen
werden, Erpressung der Vereinsführung, gezielte Protestaktionen, den Spielern
auf Flughäfen, auf der Straße, im Restaurant auflauern.


Daten, die sich überschneiden. Seltsame Ereignisse. Am 23.
September 2009 wird in einem Gemeinderat im Umland Mailands ein Treffen zum
Thema “organisierter Support” abgehalten. Das bietet die Möglichkeit für einen
Dreier-Gipfel von Giancarlo Lombardi, Franco Caravita, historischer Führer der
Inter-Kurve und Christian Mauriello, Abgesandter der Viking von Juventus. Der
Dominus ist, laut der Mailänder DIGOS (Staatsschutz), wiederum Lombardi. Der,
nachdem er sich mit seinen Gorillas bereits die Milan-Kurve erobert hat, die
Absicht hätte, weiterhin im ganz großen Geschäft mitzumischen. Phase Zwei des
Projekts sieht die Ausweitung der kriminellen Unterwanderung auf weitere Kurven
vor. Zuallererst die von Inter und Juve. Die viel Geld bedeuten. Die
historischen Rivalitäten werden im Namen des gemeinsamen Geschäfts begraben.
Und im gemeinsamen Geschäft kann man prima miteinander auskommen. Macht nichts,
wenn dabei ab und zu eine Schießerei herausspringt. Wie am 17. Oktober 2006 in
Sesto San Giovanni. Opfer ist ein 32-jähriger Ultrà. Der Hinterhalt ist – laut
der Staatsanwaltschaft Monza – der versuchten Machtübernahme der rotschwarzen
Kurve zuzuschreiben. So bewegen sie sich heute, die neuen Ultràs.

Die Ergänzungen
von Mr. Altravita
bitte unbedingt auch lesen. Es lohnt sich.

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