Contro il Ultrà Moderno! Gegen Doppelmoral!
Wir sehen die Entwicklung der Ultrà Szene, gerade auch aufgrund der Lektüre einiger interessanter Texte von Mr. Altravita, sehr zwiespältig. Die aktuelle Demo Zum Erhalt der Fankultur bietet diesbezüglich einige Kritikpunkte. Die Verhaltenregeln sind seltsam in der Wiederholung von Selbstverständlichkeiten und erfreulich, weil Thor Steinar und andere Nazimarken nicht geduldet werden sollen, zugleich. Der Ablauf scheint akribisch genau geplant. Raum für Eigeninitiative ist gegeben, wird aber gleichzeitig auch in bestimmte Rahmen gepreßt. Ganz besonders unerfeulich ist aber, daß die Selbstreflexion auf der Strecke bleibt. Zwei Ultrà Gruppen äußern sich deshalb ähnlich lautend konstruktiv und ablehnend gegenüber der Demo und regen hoffentlich eine wichtige Diskussion zum eigenen Selbstverständnis an.
Unter dem Titel „Fußballfans sind keine Verbrecher!? – Die Doppelmoral der deutschen Ultràszene“ erklären die Ultràs Mönchengladbach ihre Absage an der Teilnahme der Demonstration in Berlin. Es wird die Radikalisierung in der Szene, Unehrlichkeit und Heuchelei kritisiert. Außerdem werden fehlende (gemeinsame) Ideale und Werte bemängelt.
Heutzutage werden Kleingruppen angegriffen und Einzelpersonen aus dem Hinterhalt krankenhausreif geschlagen. Das allgemein bekannte Spiel vom „jagen & sammeln“ scheint dabei genauso obligatorisch wie das lautstarke Intro zu Spielbeginn und Fahnen werden nicht im Kampf, sondern hinterlistig und feige durch einen Einbruch erbeutet. Der Ultrà im Jahr 2010 plündert Raststätten, schießt mit Leuchtspur um sich und bricht danach mit einem säuberlich antrainierten Kick seinem gegenüber das Nasenbein – allesamt kriminelle Handlungen, die unter dem Deckmantel des Ultràtums verübt werden. Im ewigen Schwanzvergleich der deutschen Ultràszenen und im Streit um die Frage, wer denn hier die dicksten Eier hat, scheint kein Platz mehr für Werte und Ideale zu sein, die die Ultràszene eigentlich über viele Jahre hinweg ausmachten.
Für uns haben sich viel zu viele Dinge drastisch verändert, um nun noch eine gemeinsame Basis finden und sich ein gemeinsames Ziel auf die Fahne schreiben zu können. So lange die deutsche Ultràszene sich nicht darüber im Klaren ist, dass das gegenwärtige Verhalten unser aller auch gewisse Konsequenzen nach sich zieht. So lange wir durch unser eigenes Verhalten unseren Forderungen den Nährboden entziehen – so lange hat eine Demo keinen Sinn und wird auch nichts erreichen, nichts ändern können.
Die Gladbacher Ultràs appelieren hier eigentlich daran sich wieder mehr mit sich selbst auseinander zu setzen und von Innen heraus zu arbeiten. Die Diskussion soll wieder zusammenführen und nicht trennen.
Die Ultràs von Rot-Weiß Ahlen haben ihre Teilnahme an der Demo in Berlin ebenfalls abgesagt. Die Erklärung der Tribuna Unida klingt ähnlich wie die der Gladbacher, wird aber konkreter. Erschreckend ist allerdings, daß die Vorkommnisse Alltag organisierter und aktiver Fußballfans ist.
Die Konsequenz ist, dass wir uns kurzgeschlossen haben und nun der Demonstration in Berlin fern bleiben. Zum eine glauben wir nicht an einen Erfolg, aber unsere Anwesenheit sollte Symbolcharakter haben. Doch wir können nicht Seite an Seite mit den Leuten für den Erhalt der Fankultur demonstrieren, welche durch ihr Verhalten Befürworter von Maßnahmen wie Stadionverboten etc. Futter für ihre Forderungen geben. Es wirkt halt etwas scheinheilig, wenn man sich selber stets als das Unschuldslamm darstellt und die Schuld an den Missständen einzig und alleine bei den anderen sucht. Die Doppelmoral, welche bei einigen Gruppen vorherrscht ist für uns inakzeptabel und somit werden wir der Veranstaltung auch fernbleiben.
Also auch die RWA Ultràs beklagen die Doppelmoral und die Entwicklung von Ultrà Gruppen zu kriminellen Gangs, die Fußball offenbar lediglich als Alibi benutzen, um andere Menschen sinnlos zu jagen und zu beklauen. Mit Ultrà hat das wenig zu tun. Mit Fankultur schon gar nicht.
Beide Kritiken sind nachvollziehbar und stopfen den Finger fett in die eigene Wunde. Beide Erklärungen richten sich aber auch konstruktiv nach Innen und geben die Möglichkeit sich zu prositionieren und womöglich zu vernetzen.
Bei TeBe habe ich allerdings den Eindruck, daß es der nicht-existenten organisierten Fanszene nicht darum geht in Kontakt mit anderen zu kommen. Eine Positionierung wird abgelehnt und auf die Heterogenität verwiesen. Aktiv gegen Antisemitismus, Homophobie und Sexismus sowie gegen die Verdrängung von Freiräumen ist die TeBe Fanszene dennoch. Wenn es keine (organisierte) Fanszene bei TeBe gibt, dann bleibt aber die Frage, wer das Engagement eigentlich trägt.
15. November 2010 um 12:47 pm Uhr
[…] in Übersetzung vorliegendem “Tifare Contro” von Giovanni Francesio. Die Diskussionen, Erklärungen und Redebeiträge rund um sowie während der Fandemo am 9. Oktober diesen Jahres in Berlin […]