Feuer und Leidschaft als Verbrechen
Am vergangenen Dienstag fuhren an einem ganz normalen Arbeitstag mehr als 10.000 Dresdner*innen zum Scheiß-DFB Pokalspiel nach Dortmund. Unter dem von Dynamos jeglicher Colour gewohnt großspurigem Motto „Europa wir kommen“ machten sich auch einige hundert Ultras auf den Weg und machten dieses Spiel zu einem Ereignis. Ich mag die Dynamos wirklich nich‘. Den Nazi und Sexist*innen Scheiß braucht keine*r. Aber die Pyroshow zu Beginn der Partie im gesamten Gästeblock war sehr hübsch anzusehen. Das „You never walk alone“ und die dazugehörgie Schalparade der Heimkurve der Dortmunder*innen hatten aber definitiv einen höheren Gänsehautfaktor. Stimmungstechnisch gaben sich beide Kurven ohnehin wenig. Aber um Emotionen, Leidenschaft und die Unterstützung des vereins sollte es am Dienstag nicht gehen, meinte offenbar der Öffentlich-Rechtliche Rundfunk.
Das ZDF hatte sich offenbar vorgenommen möglichst undifferenziert, ausgrenzend und vor allem ideologisch voll auf der repressiven und respektlosen Linie des DFB sowie der DFL über die Vorgänge auf den Rängen zu berichten. Der Feind waren an diesem Abend alle Dresdner*innen. Sie wurden zu den berühmt berüchtigten Fans in Anführungszeichen.
Scheiß-Poschi erklärte im Laufe seines Spielkommentars den Einsatz von Pyrotechnik mehrfach zum Verbrechen, am Fußball, an den friedlichen Dortmunder*innen (ganz harmlos die Jungs, ganz bestimmt) und der Menschlichkeit in der Kurve. Was aber während der gesamten Berichterstattung über den ersten Tag der dritten Runde im DFB-Pokal nicht einmal erwähnt wurde, war die sehr differenzierte, breit aufgestellte und engagierte Kampagne „Pyrotechnik legalisieren! Emotionen respektieren“ von über fünfzig Ultra-Gruppen. Die Gespräche mit dem DFB wurden vor einigen Wochen ganz respektlos fallengelassen und die Fans als begossene Pudel*innen nach Hause geschickt. Ebenfalls nicht erwähnt wurde die am selben Tag vorgestellte Studie zur Gewalt im Stadion durch die Zentrale Informationsstelle Polizeieinsätze (ZIS). Hierzu lohnt sich die Lektüre des Artikels „Gehört Gewalt zur Fankultur?“ im Neuen Deutschland, der die empirischen Zahlen differenziert betrachtet.
Zu den Vorgängen in Dortmund will ich aber einen anderen Artikel empfehlen. Wie gewohnt hat Nicole Selmer mit „Sogenannter Journalismus: Wie erzähle ich Fußballrandale?“ veröffentlicht bei Publikative einen sehr lesenwerten Kommentar zur Berichterstattung über das Pokalspiel des BVB gegen die SGD abgeliefert. Da ist echt alles drin – der Hintergrund des Jahresberichts der ZIS zur Fangewalt, der respektlose Abbruch der Gespräche um eine Legalisierung von Pyrotechnik im Stadion, eine differenzierte Einordnung der vermeintlich skandalösen Vorgänge in der Dresdner Fankurve usw. Das einzige was fehlt, ist die Berichterstattung als das zu bezeichnen, was sie war – nämlich eine ideologische Abrechnung mit den Ultras.
Schlagworte: Diskurs, Pyrotechnik, Ultrà
1. November 2011 um 7:19 am Uhr
[…] Sogenannter Journalismus: Wie erzähle ich Fußballrandale? Etwas Besseres als diesen Journalismus Glosse: Handschellen für die Sachlichkeit Bundesligaanalyse: Pyrotechnik und "Gewalt-Wahnsinn" Feuer und Leidschaft als Verbrechen […]