Siamo Pirati – Ein Gespräch mit Talco
Am 6. Februar spielt die italienische Patchanka Band Talco im SO36. Das Konzert wird bestimmt, wie im vergangenen Frühjahr grandios. Die Jungs aus Venedig sind einfach der Hammer. Ihre Nähe zur Fußballszene, insbesondere der des FC St. Pauli, haben sie bei mehreren Konzerten beim Mondiali Antirazzisti und im Umfeld von Fanfestivals bewiesen. Die Kiezkicker selbst scheinen die Band ebenfalls zu mögen. Deshalb hier noch einmal das Interview vom letzten Jahr. (Intervista in italiano qui)
Was denkt ihr über die derzeitige politische Lage in Italien?
In der heutigen italienischen Politik gibt es nur minimale Unterschiede zwischen der Rechten und der Linken. Zwischen der Kommunistischen Partei von 1991 (Partito Comunista Italiano, PCI) und der großen Demokratischen Partei (Partito Democratico) bestehen heute gemeinsame Ideen und Vorgehensweisen. Während es zu einer anderen Zeit vor Jahren möglich war, auch die PCI zu kritisieren und es überhaupt noch Werte in der Politik gab, herrscht heute überall die Korruption – auch in der Linken. Italien wird von Menschen regiert, die nicht aufgrund von Leistung oder Fähigkeiten ein Amt oder Ziel erlangten, sondern über Kontakte und Bestechung. Heute ist es sehr schwer, etwas auf eine andere Art zu erreichen.
Was fällt euch ein, wenn ihr von den Angriffen und Ermordungen von Migrant_innen und links-alternativ lebenden Menschen seitens Faschisten bzw. Rechten erfahrt?
Bis vor kurzem, so vor 5 oder 6 Jahren, war das ein kleines, sehr begrenztes Problem. Aber seitdem Berlusconi die Regierung mit Forza Nuova und der Alleanza Nazionale übernahm, gibt es mehr Freiheiten für diese faschistischen Gruppen, die zunehmend aggressiver agieren und sich offen militant organisieren. Die Konsequenzen dessen sehen wir nun auf den Straßen.
Euer aktuelles Album heißt „Mazeltov“. Was bedeutet euch dieser Ausspruch? Warum habt ihr ihn zum Titel gemacht?
„Mazeltov“ ist ja ein hebräischer Segen, ein Trinkausspruch, der ”Viel Glück” bedeutet. Wir haben ihn gewählt, weil wir uns als Band während der Album-Produktion in einer Phase des Wandels befanden. Wir waren an einem Punkt, wo wir überlegten, die Gruppe aufzulösen. Aber das taten wir dann doch nicht. Wir haben stattdessen mit einem neuen Trompeter und einem neuen Bassisten wieder angefangen. Deshalb ist uns „Mazeltov“ als Gruß zu unserem Neuanfang eingefallen.
“Mazeltov” scheint uns ein Konzept-Album zu sein. Wir mögen es sehr, sowohl die Musik als auch eure Liedtexte. “Mazeltov” enthält wichtige Themen, aber auch sehr unterschiedliche, wie zum Beispiel die Mafia und die Geschichte von Peppino Impastato in “Radio Aut”, die Resistenza in “La Tarantella dell’ultimo Bandito” und die Shoah mit “Nel Vilaggio” und “Il Treno”. Wie lassen sich diese Themen auf einer CD vereinen? Was ist euer übergeordnetes Thema des Albums?
“Mazel Tov” und der Vorgänger “Combat Circus” sind sich sehr ähnlich. Beide thematisieren verschiedene Inhalte aus dem Themenkreis der “Piraten”. Sie erzählen von Geschichten, die wir auf unseren Reisen und in unserer musikalischen und menschlichen Entwicklung erlebt haben. Das große gemeinsame Thema ist der Aufruf gegen den Verlust von Ethik und moralischen Werten in der Welt der Politik, woher all die Schrecklichkeiten herrühren, von denen unsere Lieder handeln.
Sprechen wir noch ein wenig über einzelne Songs von euch, zum Beispiel über “Nel villaggio”. Was bedeutet dieses Instrumentalstück? Das schnelle und äußerst dynamische „Merlutz“ hat uns auch sehr gefallen. Was hat es damit auf sich? Und was steckt eigentlich hinter dem älteren „Tortuga“?
Das instrumentale „Nel Villagio“ ist die Einleitung zu “Il treno”. “Il treno” bezieht sich auf den Film “Train de vie”, auf den Anfang des Films, als die Soldaten ins Dorf kommen. Merlutz ist ein Freund von uns, der Klezmer-Musik liebt. „Tortuga“ ist ein Lied, das an verrückte Piraten erinnern soll. Auch wir sehen uns ein wenig als Piraten.
Ihr nutzt jüdische Musik und thematisiert die Shoa. Wie ist eurer Verhältnis zum Konflikt im Nahen Osten?
Mit dem Thema Israel hatten wir in Deutschland viele Probleme, vor allem wegen unseres Liedes „Corri“. Wir spielen es deshalb auch schon lange nicht mehr. Die Situation hat sich aber wieder beruhigt. Wir haben uns entschuldigt, haben erklärt, wie wir das Lied verstanden hatten. Unserer Meinung nach war das einfach ein Missverständnis. Wir vertreten weder die Position der einen noch der anderen Seite. Das Lied ist alt und stammt aus einer Zeit, als wir noch sehr jung waren. Wir sind gleich weit entfernt von der israelischen wie von der palästinensischen Position.
Die spezielle Sensibilität der Bewertung des Nahost-Konflikts ist in Deutschland aus guten Gründen sehr verbreitet, aber auch heftig umstritten.
Ja, das haben wir mitbekommen. Es ist eine schwierige Sache. Natürlich gibt es auf der einen Seite den islamistischen Fundamentalismus, der verdammt gehört. Andererseits gibt es einfach unvernünftige Entscheidungen von Seiten des Staates Israel. Es ist schwierig Position für die eine oder andere Seite zu beziehen.
Eure Musik ist offensichtlich eine Mischung aus verschiedenen Genres. Wie würdet ihr euren Stil beschreiben?
Wir haben angefangen, Ska-Punk zu machen. Später haben wir uns in Richtung Mano Negra entwickelt und machen heute eher Patchanka – diesen Mix aus Ska, Punk und Folk.
Bei dem Konzert haben wir gesehen, dass ihr das Akkordeon, das ihr in vielen Stücken benutzt, nicht live gespielt habt. Warum nicht?
Auch auf dem Album ist es kein echtes Akkordeon, sondern ein Keyboard-Effekt. Wenn wir live spielen benutzen wir aber immer eine Orgel oder das Klavier vom Keyboard.
Euer aktuelles Album ist am 25. April 2008 erschienen. Was bedeutet euch dieser für Italien historische Tag der Niederlage des Faschismus und dem Sieg der Resistenza?
Wir haben uns dieses Datum ausgesucht, weil wir uns in einer Zeit befinden, in der einige Leute versuchen, die italienische Geschichte zu verfälschen. Sie versuchen Mussolini positiv umzuwerten und ihn positiv zu sehen. Deshalb gibt es viele Proteste von Partisanen. Der 25. April ist einfach ein Gedenktag. Für uns ist er sehr wichtig. Aber das ist er nicht nur in Italien. Wir haben mitbekommen, dass es in Europa und in den USA Leute gibt, die versuchen, historische Fakten zu fälschen. Da gibt es zum Beispiel diesen Film von Spike Lee „Das Wunder von Sankt Anna”. Darin werden die Partisanen einfach falsch dargestellt. Von Spike Lee haben wir schon etwas mehr Präzision sowie künstlerische Differenzierung erwartet – und vor allem mehr geschichtliche Sensibilität. Solch ein Film ist ein Angriff auf die Geschichte Italiens und die italienische Freiheit, die von Partisanen erkämpft wurde.
Warum besingt ihr so oft die Partisanen, aber nicht die 68er oder 77er Generation?
Während die Resistenza ein historischer Fakt ist, den mensch als Wahrheit annehmen und beschreiben kann, ist die Diskussion um 1968 noch offen, sehr offen sogar. Deshalb ist es unserer Meinung nach noch zu früh, darüber zu sprechen bzw. zu singen. Natürlich haben wir eine positive Sicht auf die Geschehnisse dieser Jahre, aber darüber sprechen geht noch nicht. Es hieße auslassen zu müssen, über zu wenig zu sprechen, was passiert ist.
Warum seid ihr eigentlich Fans von Sankt Pauli?
2006 haben wir Sankt Pauli-Fans in Hamburg kennen gelernt, als wir dort ein Konzert gaben. Am Nachmittag sind wir ins Stadion gegangen, um das Spiel zu sehen und haben dort Bekanntschaft mit einigen Fans gemacht. Später haben wir sie beim Force Attack Festival 2008 wieder getroffen. Im Moment denken wir darüber nach, von dem Song „St. Pauli“ eine deutsche Version zu machen. Aber wir wissen noch nicht, wann es so weit sein wird. Vorher müssen wir noch deutsch lernen!
Das Lied “St. Pauli” handelt ja nicht nur vom Fußball, sondern spricht auch über den Kiez, den Stadtteil Sankt Pauli, indem viel alternatives Leben stattfindet.
Ja, genau. Es geht im darum, wie sich die Leute in Sankt Pauli politisch, vor allem im Bereich Antirassismus, engagieren. Das ist bei uns ziemlich selten, vor allem die Kombination aus Fußballfans und Antirassist_innen. In Italien ist der Großteil der Tifosi extrem rechts eingestellt.
Habt ihr denn auch eine italienische Lieblingsfußballmannschaft?
Ja, vor Jahren haben wir uns die Spiele von Venezia im Stadion oder zuhause im Fernsehen angeschaut. Aber mittlerweile spielen sie nur noch in der vierten oder fünften Liga. Der Verein steht vor dem Zusammenbruch. Als Zamperini noch Präsident war, hat Venezia sogar ein paar Jahre in der Serie A gespielt. Aber dann haben sie Schulden gemacht. Deshalb geht es dem Verein heute nicht gut.
Nun seid ihr mal wieder nach Berlin gekommen. Gefällt euch die Stadt?
Ja, sehr. Wir waren schon sieben oder acht Male hier. Wir haben uns in Berlin verliebt. Uns gefallen am meisten die Leute, diese Mischung von Menschen aus der ganzen Welt.