Leningrad, Illic und die Figli di Dario

Nachdem wir uns in den letzten Artikeln so über die Fanszene ausgeheult und unserem krassen Schock Ausdruck verliehen haben, will ich auch mal von den schönen Seiten von Livorno berichten. Die gibt’s nämlich auf jeden Fall auch und sie sind es, die jeden Besuch auch ohne Fußball zu einem Erlebnis machen.

Die Stadt ist zwar wirklich nicht schön. Touristisch hat Livorno wenig zu bieten. Bis auf ’ne 50-minütige Schiffstour durch die Känale von Venezia Nuova, eine Spaziergang über den Markt, wo’s Fisch ohne Ende, Bohnen, Gewürze, Käse usw. gibt, oder einen Nachmittag auf der Terrazza Mascagni. Strand gibt’s auch. Der is‘ aber aus Stein. Oder mensch fährt circa 30 Minuten mit dem Bus nach Tirrena – dort gibt es einen kilometerlangen Wahnsinns Sandstrand. Wirklich toll…

Aber neben diesen schönen Rumgammelplätzen ist Livorno vor allem eine Stadt von Arbeiter*innen, Angestellten*innen, Prekären und anderen lohnabhängigen Menschen. Deshalb interessieren die Livornes* Tourist*innen wenig. Sie bemühen sich weder darum sie zum kommen oder zum bleiben zu animieren, noch bauen sie touristische Highlights. Und gerade deshalb lohnt sich Livorno.

Die Livornes* sind freundlich und erinnern sich an ihre Freunde und Genoss*innen. Die Stadt ist bodenständig und offen für jede Lebensform, solange sie nicht faschistisch ist. Die verschiedenen alternativen Freundeskreise, die Kommunist*innen, die antagonistische Szene und die Anarchist*innen arbeiten zusammen – egal ob’s nun wie aktuell der Fall gegen Nukleare Energiegewinnung, Offshore-Projekte oder Sauberes Wasser geht, überschneiden sich in Bündnissen die Akteure. Für uns wichtige Anlaufpunkte sind das Centro Politico 1921 im besetzten Projekt Centro Social Autogestico Godzilla und das vor wenigen Jahren besetzte Officina Sociale Refugio in der Nähe der Fortezza Nuova. Letzteres hat sich seitdem zu einem Ort für alternative Kultur entwickelt. Dort finden (beinah) jedes Wochenende Lesungen, Theatervorstellungen oder Performances statt.

Das Godzilla lebt übrigens auch wieder. Nach der Besetzung des Refugio war es um Livornos ältestes besetztes Projekt etwas ruhiger geworden. Bis zum letzten Jahr gab es relativ wenig Aktivitäten. Das hat sich aber geändert. Schon beim Gastspiel der Livornesi International am Wochenende des 8. / 9. Mai im vergangenen Jahr durften wir erleben, wie das C.P. ’21 feiern kann. Am vergangenen Wochenende war es wieder soweit.

Nach einem verspätenen Flug von Berlin nach Pisa, einem Spurt durch den Hauptbahnhof von Pisa, um den Zug nach Livorno zu bekommen, und einem Spaziergang durch’s nächtliche Livorno vom Bahnhof zum Hotel, waren wir circa halb Elf Abends im Godzilla. Die Cena – also das Abendessen war zwar schon vorbei – war schon vorbei. Die Jüngeren vertrieben sich die Zeit an der Bar. Der Tresen wurde neu gemacht. Der Stalin ist schon lange weg. Er wurde durch eine Szene ersetzt, die den Kampf der Roten Armee während der Belagerung von Leningrad zeigt. Zu sehen ist ein*e Rotarmist*in in einem Graben – im Hintergrund die Stadt Leningrad.

Is‘ schon erstraunlich, daß sich die Antagonist* Livornes* ausgerechnet auf den heftigen Kampf von Leningrad beziehen. Schließlich ist Stalingrad sehr viel bekannter und gilt als Wendepunkt im antifaschistischen Kampf gegen Nazideutschland, das gemeinsam mit Faschist*innen mordend und vernichtend durch Europa, Asien und Afrika zog. Die Leningrader Blockade dauerte Jahre, bedeutete für alle – auch für deutsche Russ*innen – Hunger, Zerstörung und Tod. Aber die Stadt hielt stand gegen die Nazis sowie ihre Verbündeten und befreite sich selbst. Vielleicht ist es dieser Sieg nach der umfaßenden Hoffnungslosigkeit, die die Livornes* bei dem Motiv geleitet hat. Wer weiß…

Eines ist sicher Ilio Barontini, der Held des C.P. ’21, der Kommunist und Mitbegründer der PCd’I, Soldat und Partisan aus Livorno, war nie in Leningrad. Er war in Moskau und wurde Anfang der 30iger an der Akademie der Roten Armee ausgebildet. Danach kämpfte er mit den Internationalen Brigaden im italienischen Bataillon Garibaldi gegen Francos faschistischen Garden. Nach der Besetzung Italiens durch die Nazis organisierte er den Widerstand. Als Partisan nannte er sich sich Dario. Die C.P. ’21 Genoss*innen beziehen sich auf ihn – sowohl als Kommunisten, der für seine Ideale im Knast saß und kämpfte, als auch als militanten Antifaschisten, der in China, Spanien, Frankreich, Äthiopien und Italien gegen Kolonialismus, Faschismus und Nazismus kämpfte – und sind die Figli di Dario.

Und diese Kinder der Partisanen kochten am letzten Samstag und feierten zusammen die vorerst letzte Party im Godzilla. Denn in den Sommermonaten dürfen sie die Fenster nicht offen haben, sonst beschweren sich die Nachbarn… Wir kamen zum Essen leider zu spät. Verhungern mußten wir trotzdem nicht. Und verdursten sowieso nich‘. Dafür sorgten ein Trade Union und ein Labronico 57100 an der Bar.

Waren es im letzten Jahr noch in erster Linie Frauen, die sich um das Essen kümmerten, kochten diesmal die Jungs. Die Mädels mußten sich auf ihre Performance vorbereiten. So blieb den Kerlen nix andere übrig, als selbst die circa 30-40 Hungrigen zu bewirten. Und auch wir bekamen noch was, oder ebsser für uns wurden extra noch leckere Penne mit Pesto gekocht. Dazu gab’s leckere Insalata Caprese (also frische, geschnittene Tomaten mit Mozarella und Basilikum). Zum Nachtisch bekamen wir noch einen Obstsalat. Sehr lecker…

Es war diesmal leerer als im letzten Jahr. Unsere „älteren“ Leuten waren aber da – inklusive dem friedlichen Rottweiler Illic, der später kam und sich tapfer nicht von Maya, einer wuseligen Jagdhündin, provozieren ließ. Die Jüngeren, die im letzten Jahr für Stimmung gesorgt hatten, die organisierten Livorno-Ultras waren diesmal nicht da. Mit dem Ende der Fankultur in der Livorneser Kurve organisiert sich das Antagonistische Livorno kleiner, aber dafür aktiver und geschlossener neu. Leider führt da nicht dazu, daß die „Alten“ auch im Stadion wieder lauter werden.

Von der Performance haben wir leider nur wenig mitbekommen. Wir waren ja noch am Essen. Außerdem hatten wir mit Illic zu tun. Ich hätte wahrscheinlich auch wenig verstanden. Aber wer weiß… Auf jeden Fall waren nach dem Essen schon auch einige für die Vorstellung der Frauen geblieben und hatten Spaß. Die Musik war ja auch nicht schlecht. Es begann und endete mit Björks It’s oh so quiet… Vielleicht häte ich es mit doch ankucken sollen. Ich konnte leider nur noch den Applaus sehen. Aber Theater sollten wir ja noch zu sehen bekommen, nämlich am Sonntag im Refugio. Dazu aber später mehr.

Der Abend im C.P. ’21 klang auf jeden Fall sehr gemütlich aus. Wir bekamen noch einige Biere spendiert, unterhielten uns. Als Video liefen militante Antifa-Aktionen, wie zum Beispiel Auseinandersetzungen zwischen Polizei und Antifaschist*innen am 29. April diesen Jahres in Napoli, wo Casa Pound Faschist*innen marschieren wollten, oder die Aktionen rund um den erfolgreich verhinderten Auftritt von Borghezio in Livorno. Leider forderte der anstrengende Tag seinen Tribut und wir mußten geh’n. Schließlich brauchten wir ja noch Tickets für das Spiel gegen Frosinone. Die sollten wir am Sonntag morgen um halb Elf bekommen. Viel zu früh…

Das war unsere erster Abend in Livorno. Er war wieder einmal herzlich und schön. Was am Sonntag passierte gibt’s später zu lesen.

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