Lebendige Erinnerung für den aktuellen Kampf
Es ist das Ziel seines Bruders, seiner Schwägerin sowie vieler engagierter Italiener*innen die Erinnerung an „Peppino“ wach zu halten. Deshalb finden auch 33 Jahre nach der Ermordung des sizilianischen Kommunisten und Anti-Mafia-Aktivisten Giuseppe Impastato – liebevoll „Peppino“ genannt – immer wieder Informationsveranstaltungen mit Zeitzeugen statt. In dieser Woche sind Giovanni Impastato und seine Frau Felicia Vitale Impastato mal wieder in Deutschland unterwegs. Sie zeigen den weit über Italien hinaus bekannt gewordenen Film I Cento Passi (100 Schritte), der vom Wirken und der Ermordung von Peppino am 9. Mai 1978 handelt. Sie erzählen, wer der junge Mann aus Cinisi (bei Palermo) war und warum er sich gegen die „Familie“ gestellt hat. Und sie berichten, wie die grausame Tötung des damals 30-Jährigen ihr Leben verändert hat. Am 31. Oktober saßen sie auf Einladung der Organisation Mafia? Nein danke! Bei der Veranstaltung unter dem Titel „Von Mafia zu Anti-Mafia – Drei Zeitzeugen erzählen“ in der Alten Feuerwache in Berlin auf dem Podium.
Der Saal war mit knapp 100 Menschen gut gefüllt. Die Anwesenden warteten gespannt auf die Erzählungen der Impastatos. Doch die Gäste blieben ganz ruhig. Vor allem Felicia beschrieb ihre Gefühlswelt der letzten Jahrzehnte mit unglaublicher Konzentration und Gelassenheit. Für sie, die als Freundin von Giovanni in die Familie Impastato gekommen ist, war die Situation besonders schwierig. „Man konnte die Spannung mit den Händen greifen“, erklärt sie den Streit zwischen Vater Luigi und Sohn Peppino. „Mama Felicia stand zwischen den Fronten.“ Ganz besonders beeindruckte sie der Mut der Mutter als ihr Schwiegervater in spe Peppino aus dem Haus warf. Denn von diesem Tag an waren die Mafia-Freunde von Luigi Impastato nicht mehr willkommen. Felicia schmiss sie ein ums andere Mal aus ihrem Haus.
Der Bruch mit der Mafia auf der einen Seite bedeutete andererseits auch die fortgesetzte Unterstützung für Peppino. Die Mutter besuchte ihn trotz Kontaktverbot des Vaters regelmäßig. Sein Bruder Giovanni und dessen Freundin Felicia nahmen an Veranstaltungen im kommunistischen Kulturverein teil. Aber auch der Vater Luigi scheint Peppino geschützt zu haben. Womöglich war der Rauschmiß aus dem väterlichen Haus eine Art Versicherung für die Familie und die Wiedergutmachung für die Bloßstellung der Mafia-Paten von Cinisi. Offenbar reichte dies aber nicht. Denn der Vater starb nur wenig später bei einem Autounfall. Wahrscheinlich wurde er von der Mafia ermordet und konnte nichts mehr für seine Familie tun. Peppino kämpfte auch nach dem Tod seines Vaters weiters. In seinem Radiosender „Radio Aut“ prangerte er die Machenschaften der Mafia in zynischen Beiträgen an. Zuletzt kandidierte er sogar für das Lokalparlament und gefährdete so die sicher geglaubten Sitze der Mafios*. Die Mafia reagierte und tötete Peppino am 9. Mai 1978.
„Sie wollten ihn zu einem Terroristen erklären“, sagt sein Bruder Giovanni. „Doch das hat unsere Mutter nicht geglaubt.“ So wurden für Mama Felicia, Giovanni und seine Freundin nicht nur die Mafios* zu Feinden, sondern auch die Behörden, die den Tod Peppinos nicht aufgeklärt haben, sondern Beweismaterial verschwinden ließen. „Der Fall Impastato hat uns in Italien gezeigt, dass es keine Legalität gibt“, lautete Giovannis Fazit am Montagabend. Die Entscheidung der Witwe und Mutter eines Anti-Mafiaist* sich nach dem Tod von Peppino komplett von der „Familie“ zu lösen und sich gleichzeitig sozial zu engagieren gehören deshalb zusammen.
In den letzten zehn Jahren hat sich die Situation im Kampf gegen die Mafia in Italien nach Meinung der Impastatos zum Besseren gewandelt. Giovanni lobte ausdrücklich die Arbeit engagierter Jurist*innen, die Gaetano Badalamenti als Verantwortlichen für den Mord an Peppino nach einem langen Prozess im Jahr 2002 hinter Gitter brachten. Auch die offizielle Anerkennung Peppinos als Opfer der Mafia durch den Bericht der Anti-Mafia-Kommission des italienischen Parlaments hat den Impastatos Genugtuung gebracht. Giovanni erinnert sich noch gut, wie die Abgeordneten mit ihren Militärhubschraubern in Cinisi landeten, um ihr Dossier an Mama Felicia zu übergeben. „Sie hatten Angst vor dieser alten, kleinen Frau, weil sie den Staat repräsentierten, der ihren Sohn zu einem Terroristen erklärte und dies nun eingestehen mussten“, so Giovanni. „Und was tat meine Mutter? Sie dankte ihnen mit den Worten: ‚Ihr habt meinen Sohn wieder auferstehen lassen.’“
Als eine der größten Leistungen von Felicia Impastato, die 2004 in hohem Alter verstarb, bezeichneten die sizilianischen Gäste ihre Entscheidung und ihr Engagement das Haus der Familie zu einem Ort der Erinnerung zu machen und für alle Interessierten zu öffnen. „Sie hat sich entschieden, sich nicht zurückzuziehen, sondern zu sprechen und die Geschichte so weiter zu geben, wie man es früher tat“, betonte Marina Montouri. Sie arbeitet seit ein paar Jahren inm Casa Memoria in Cinisi und reist nun mit Felicia sowie Giovanni. Das Casa Memoria ist bis heute für alle geöffnet, die mehr über Peppino und den Kampf gegen die Mafia in Sizilien erfahren wollen. Talco nahm dort das letzte Album auf.
Zumindest in Cinisi und der Umgebung stellen sich zunehmend Erfolge dieser Arbeit ein. Giovanni berichtete stolz, dass die Initiative des Casa Memoria erst vor kurzem ein zweites Gedenk-Haus bekommen hat. Es ist jenes von „Don Tano“ – Gaetano Badalamenti – dem einstigen Mafia-Boss im Ort. „Auch dieser Ort und der Gang der 100 Schritte zwischen den beiden Häusern sollen lebendige Geschichte sein“, sagte Giovanni und fügte als Schlusssatz der Diskussion an: „In Cinisi haben wir die Mafia besiegt. Das gibt Hoffnung und muss uns glauben lassen.“
Schlagworte: 9. Mai, Antimafiaist*, Cento Passi, Impastato, Mafia? Nein Danke!, Peppino