Wat’n Theater I
Es gibt jetzt im Ultra Unfug eine Kolumne von mir unter dem Titel „Wat’n Theater“. In der Nummer 193 erschien der erste Text. Viel Spaß beim Lesen.
Ich bin Jurij. Manche werd’n mich kenn’n. Andere nich‘. Ich steh‘ oder besser ich bin bei Heimspiel’n des SV Babelsberg 03 im Großraum Nordkurve unterwegs. Und ich möchte an dieser Stelle fortjesetzt im Dialekt, also quasi dialektisch, meine Jedanken über die Spezies Fußballfan loswerd’n. Dit hier is‘ mein erster Beitrag. Ich bitte deshalb eventuell auftretende Unjenauigkeiten zu entschuld’jen und Lektüreschwierigkeiten einfach durch lautet lesen aufzulös’n. Dit klappt – ich versprech’s!
Ich bin neben mein’m Hobby in’er Kurve rumrenn’n ’nen janz großer Freund des gepflegten Diskurses. Da geht’s mir, wie vielen Fußballfans. Denn jede*r, egal ob’a nu‘ uff da Tribüne sitzt oder in’er Kurve steht, alle woll’n se wat loswerd’n. Alle wiss’n se Bescheid: wer spiel’n soll oder besser draußen jeblieb’n wär. Und besser kuck’n als die Unparteischen kann sowieso jeder Fan. Und wenn e’n dann ma‘ die jeballte Wissenhoheit jetroff’n hat, dann wird dit lautstark der Öffentlichkeit mitjeteilt. Leider kommt dit selten so eloquent und einleuchtend rüba, wie’t die Rufer*innen jern hätt’n.
Da wird jemeckert und jepöbelt, beleidigt und jeschimpft, aber vor allem jelitten. Wenn der Paß ma‘ nich‘ ankommt. Wenn abjepfiff’n wird, weil irgendwer hinjefall’n is‘. Wenn der Halbzeitpfiff oder dit Ende naht. Und janz schlimm wird’s, wenn dit Tor nich‘ jetroff’n wird. Da jeht’n Raunen durch’s Stadion, daß ei’m die Ohren wegflieg’n. Dann wird so richtig jelitt’n! Und der jemeine Fußballfan is‘ och noch stolz uff dit Leid, das’er für’n Verein und die Farb’n aushält. Er kommt jenau weg’n dies’m Leid’n immer wieder. Absurd wa!
Aber eigentlich is’et jar nich‘ so komisch – denn die braven Bürger*innen in den Theatern und erst recht in den modernen Lichtspielhäusern sitz’n nur wegen diesem Leid’n in ihren Sesseln, lassen sich von den krassesten Geschicht’n fesseln und heul’n, was das die Tränendrüse herjibt. Übrigens ha’m die Bürgersleute diesen Drang zum „Mitleiden“ von ihrem Ober-Guru Gotthold Ephraim Lessing. Dit is‘ so’n Typ, von dem ihr bestimmt schonma‘ im Deutschunterricht jehört habt – für manche dürfte dit janz schön lange her sein. Auf jeden Fall glaubt der doch tatsächlich, daß nur der mitleidigste Mensch der beste wär‘. Und deshalb leid’n die Bürgersleute so gerne. Denn sie woll’n besser sein, als alle andern. Und dit nu‘ schon seit’n paar hundert Jahr’n.
Also: Stadion und Theater sind ja nich‘ soweit von’ander entfernt. Et jibt Menschen, die jeh’n ins Stadion, um zu leid’n, und andere bevorzug’n das Theater. Ich persönlich zieh‘ ja dit Stadion dem Theater vor, bin aber och manchma‘, wat eher seltener vorkommt, im Theater zu Gast. Nur in letzterem reg‘ ich mich immer so auf und dit jefällt den Bürgersleut’n nich‘ so. Die woll’n lieber still und heimlich, quasi im Dunkeln, janz regungslos in sich hinein leid’n. In’er Kurve leid’n wa alle zusamm’n – die einen expressiv und laut, andere eher schüchtern und mit’m Bier in’er Hand. Aber auch die könn’n ausrasten. Dann fliegt dit unausjetrunk’ne Bier och gern ma‘ nach vorn. Ich würd dit Bier ja nich‘ wegschmeißen, sondern trink’n – aber dit is’ne janz andere Jeschichte…
Schlagworte: Leiden, Ultra Unfug Kolumne, Wat'n Theater