Gegen den Krieg in der Ukraine!

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In der Ukraine ist Krieg. Schwere Waffen kommen zum Einsatz. Granaten, Raketen, Panzer, Flugabwehr. Ein ganzer Landstrich wurde zerbombt. Zehntausende wenn nicht sogar Hunderttausende sind auf der Flucht. Der ukrainische Staat erhebt Kriegssteuern. Um noch mehr Waffen zu kaufen. Um eine ganze Region zu „säubern“. 

Die Bezeichnung derjenigen, gegen die das ukrainische Militär zusammen mit zum Teil von Nazis dominierten paramilitärischen Milizen wie das Bataillon „Azov“ kämpft, fällt schwer. Die neue Regierung in Kyiv bezeichnet sie als „Terroristen“ oder auch als russische Söldner*innen. Die Region Donezk und Lugansk soll von ihnen befreit werden. Dementsprechend befindet sich die (neue) Ukraine wahlweise im Anti-Terror-Kampf oder im Krieg mit Russland. In den meisten westlichen Medien werden die Milizen im Osten als Separatist*innen bezeichnet und gerne mit dem Attribut pro-russisch versehen. Die „Volksrepubliken“ Donezk und Lugansk, die sich am 24. Mai zum föderalen Konstrukt Novorossija zusammengeschlossen haben, betrachten sich selbst als antifaschistische Befreiungsbewegungen gegen die „faschistische Junta“ in Kyiv. Sie haben eine eigene Selbstverwaltung aufgebaut und verweigern jede Zusammenarbeit mit der Zentralregierung. Die Gruppe 2. Mai, eine heterogen aufgebaute Gruppe von Journalist*innen und ehemaligen Sicherheitsbeamt*innen, die sich mit den Ereignissen am 2. Mai in Odessa beschäftigt, unterscheidet weniger ideologisch aufgeladen in Pro-Einheit und Pro-Föderalismus Akteure.

Die Krise in der Ukraine begann im Herbst 2013 mit einem studentisch geprägten Protest gegen Korruption und die Verweigerung der Unterzeichnung des Assoziierungsabkommen mit der Europäischen Union durch die Janukovic Regierung. Der sogenannte Euro-Maidan auf dem Platz der Unabhängigkeit entstand als Zeltstadt mit eigener Selbstverwaltung nachdem Milizen der Spezialeinheit Berkut Demonstrationen und Kundgebungen von Student*innen brutal auseinandergetrieben hat. Der Platz hat eine hohe politische Bedeutung, da auch die unter russischen Nationalist*innen verhaßte sogenannte „Orangene Revolution“ im Jahr 2004 von dort ihren Anfang nahm, welche die Oligarchin Julija Timoshenko und ihre konkurrierenden oligarchischen Mitstreiter*innen an die Macht spülten. Die Proteste damals und der Euro-Maidan heute, die Versuche der jungen Menschen eine andere Gesellschaft ohne Korruption und Oligarchie zu ermöglichen, müssen spätestens seit der brutalen Räumung durch die neugewählte Stadtverwaltung unter Vitali Klitschko vor wenigen Tagen als gescheitert betrachtet werden.

Das Zeltdorf auf dem Maidan, die Besetzungen staatlichen Institutionen und des Gewerkschaftshauses sowie die dort aufgebaute Selbstverwaltung wie auch die Milizen der Selbstverteidigung (Samooborona) in Kyiv gilt als Folie für die Aktionen auch in anderen Städten der Ukraine. Vor allem in den westlichen Regionen des Landes stürmten Demonstrant*innen städtische Verwaltungen, Polizeigebäude und auch Kasernen. Das Spektrum der Besetzer*innen und Aktivist*innen war von Beginn an äußerst heterogen. Die emanzipatorische Bewegung und auch progressive Gewerkschaften engagierten sich allerdings erst sehr spät aufgrund einer gesunden Skepsis gegenüber der beinah schon messianischen Pro-EU-Bewegung auf dem Maidan. Außerdem wurden sie bereits im Dezember, zu einem Zeitpunkt als der „Rechte Sektor“ noch gar nicht existierte und keineswegs von einer Nazi-Hegemonie gesprochen werden kann, angegriffen und verprügelt.

Im Laufe der Zeit entwickelte sich auf dem Maidan eine Freie Universität, eine Selbstversorgung, mehrere Schutzmilizen, unter denen die Samoobona neben dem Rechten Sektor die größte ist, und eine selbstorganisierte medizinische Hilfe, die als Nische für emanzipatorische Aktivist*innen gilt. Auf der institutionellen Ebene vertraten vermeintlich die Politiker Arsenij Jazenjuk, von der neoliberalen von der Oligarchin Timoshenko gegründeten Vaterlandspartei, Vitali Klitschko, von der populistisch-konservativen Partei Udar, und Oleh Tjahnybok, von der Faschistischen Partei Svoboda, die Forderungen des Maidan gegenüber der Regierung von Janukovic. Sein ebenfalls von Oligarchen dominiertes Regime wehrte sich aber vor allem mit politischer Naivität, kreativloser Propaganda und zunehmend brutaler Gewalt gegen den Protest. Letztere eskalierte am 21. Februar, noch während von Janukovic sowie Jazenjuk, Klitschko und Tjahnybok ein von Deutschland und Polen vermitteltes Abkommen zum geordneten Übergang (das Dokument als pdf) unterzeichnet wurde. Militante der Maidan Milizen verhinderten, daß die Übereinkunft in Kraft trat. Janukovic flüchtete zunächst nach Kharkiv und schließlich nach Rostov am Don. In der Ukraine übernahmen nun neue Oligarchen, Milizen der Samooborona und des Rechten Sektor sowie kriminelle Banden die Macht und rüsteten auf.

Im Osten der Ukraine, in den Regionen, die den Pro-EU-Bestrebungen aufgrund ihrer sowohl kulturellen als auch ideologischen Nähe zu Russland äußerst skeptisch gegenüberstanden, formierte sich der sogenannte „Anti-Maidan“. Kommunistisch-stalinistische Sekten, wie die äußerst umstrittene Bewegung Borot’ba, russische Patriot*innen und Nationalist*innen sowie einfache Bürger*innen, die sich in den Forderungen der zum Teil militanten Aktivist*innen im Westen der Ukraine nicht wiederfanden und sich selbst offensiv als „Antifaschist*innen“ verklärten, traten für eine Stärkung der Föderalen Strukturen und größere Selbstverwaltung der Regionen ein. Dieser Diskurs wurde von der russischen Regierung bewußt eskaliert und zur Okkupation und schließlich zur Annektion der Krim im Zuge eines fragwürdigen Referendums am 16. März genutzt.

Die westlichen Staaten sowie die neuen Machthaber in Kyiv reagierten auf diesen offenen Angriff auf die Souveränität der Ukraine halbherzig und lediglich verbal radikal. Ernsthafte Konsequenzen hatte die Russische Föderation sowie das Regime um Putin nicht zu befürchten. Die widerwillig abgesegneten Sanktionen damals aber auch die aktuellen wirtschaftlichen Beschränkungen mögen zwar punktuell schmerzhaft sein, aber eine ernsthafte Schwächung sowohl der russischen als auch der westlichen Wirtschaft ist nicht zu befürchten. Und obwohl die Annektion der Krim bereits eine ernsthafte militärische Intervention war, bestand zu keinem Zeitpunkt die Gefahr eines Krieges zwischen Russland und der Ukraine. Denn, obwohl sämtliche Vertreter*innen der neuen ukrainischen Regierung immer wieder die russische Invasion herbeibeschwören, Grenzübertritte und Truppenbewegungen melden, die NATO um eine militärische Intervention oder zumindest um Waffen bitten, betonen die westlichen Staatschefs immer wieder, daß ein militärisches Engagement des Westens nicht geplant ist.

Ein Krieg gibt es dennoch, nämlich jenen gegen die Zivilbevölkerung in der Ostukraine. Die Situation in dieser Region eskalierte zunehmend, nachdem der Antimaidan, einfache Bürger*innen und russische Nazis eigene Milizen aufbauten und sich zu unabhängigen „Volksrepubliken“ erklärten. Spätestens seit dem Massaker in Odessa am 2. Mai, das für eine ähnliche Märtyrerlegende herhalten muß, wie die Toten des 20. und 21. Februar auf Seiten der Maidan-Aktivist*innen, ist die Mär vom antifaschistischen Befreiungskampf in der Ostukraine gegen eine „faschistische Junta“ in Kyiv insbesondere im anti-imperialistischen Spektrum sehr beliebt und wird mit neuem Material gefüttert. Aktuell bemüht sich die Zeitung „Junge Welt“ in ihrer Ladengalerie um eine ideologische Umschreibung der Geschichte. In diesem Zusammenhang ist die Arbeit der Gruppe 2. Mai um eine sehr viel differenziertere Aufarbeitung bemüht. Ihre Ergebnisse werden aber weder um Westen noch im Osten wahrgenommen und verbreitet. Genauso wenig kolportiert wird, daß sich die Ende Mai gegründete Föderation Novorossija explizit auf eine zaristisch-imperiale Tradition beruft und sich deshalb vor wenigen Tagen für die weißgelbschwarze Trikolore als Nationalflagge entschieden hat. Die sogenannte Imperka war ein Hoheitszeichen des vorrevolutionären russischen Imperiums und wird in Russland lediglich von Nazis verwendet.

Die antifaschistische Bewegung im Ganzen, in der Ukraine, im Westen und im Osten, ist bezüglich des Krieges in der Ukraine äußerst gespalten. Menschen, die sich als Antifaschist*innen bezeichnen, kämpfen sowohl auf Seiten der „Volksrepubliken“ als auch in den Einheiten des Rechten Sektors. Ultras von Arsenal Kyiv entschieden sich bereits sehr früh für den patriotischen Krieg für die Einheit der Ukraine. Einige von ihnen kämpfen sogar im Nazi-Bataillon „Azov“ und berichten stolz, daß sie von schwedischen Rassist*innen an der Waffe ausgebildet wurden. Die Milizen der „Volksrepubliken“ werden von russischen Nazis geführt. Die beiden relevantesten Organisationen sind hierbei die in den 90ern legendäre Nazi-Organisation Russkoe Nacional’noe Edinstvo (RNE), aus der sämtliche militante Strukturen der 00er Jahre hervor gegangen sind, sowie die Eurasische Bewegung von Aleksandr Dugin, der von einem neuen rotfaschistischen, orthodoxen Imperium träumt. Deshalb sind Initiativen, wie zuletzt die von antifaschistischen Musiker*innen und Gruppen aus Russland, Belorus, der Ukraine, Deutschland, England, Tschechien, Mexiko usw. äußert wichtig. Ihre Erklärung „Gegen den Krieg“ ist auf russisch hier zu finden und auf deutsch hier zu finden. Weitere Übersetzung ins Englische, Spanische und Italienische wurden bei Facebook veröffentlicht.

Am 7. August ging ihr Aufruf „Gegen den Krieg“ im russischen Sozialen Netzwerk vkontakte online. In der Erklärung distanzieren sich die Unterzeichnenden offensiv von den Milizen und Antifaschist*innen, die sich an der „Antiterroristischen Operation“ der ukrainischen Regierung als auch auf Seiten des „Marionetten-Regime in der Ostukraine“ beteiligen. So heißt es unmißverständlich, daß die Unterzeichnenden nichts mit jenen zu tun haben wollen, „die Krieg und Mord verherrlichen, die Hass und ethnische Konflikte entfachen“ sowie mit denjenigen, die „sich am Tod anderer“ ergötzen. Es ist ein Aufruf zur Einheit, gegen Kompromisse und Bündnisse mit Nazis sowie gegen Nationalismus und imperialistischen Chauvinismus. Die Unterzeichnenden sagen Nein zur Billigung von Kriegsverbrechen und Massenmorden sowie zur Doppelmoral und der Macht der Oligarchie.

Diese Erklärung, die von fast 160 antifaschistischen Bands und Antifa Gruppen, von Distro-, Booking- und Label-Kollektiven, von Musik- und Anarchoseiten sowie Radiostationen unterzeichnet wurde, ist auch deshalb so wichtig, weil in den Staaten der ehemaligen Sowjetunion die Antifa-Bewegung kurz vor der (erneuten) Spaltung steht sowie vor allem das anti-imperialistische Spektrum aus politischer Naivität und Unwissenheit zur solidarischen Intervention mit den „Volksrepubliken“ bläst. Banda Bassotti zum Beispiel will Ende September eine antifaschistische Karawane von Moskau über Rostov nach Novorossija führen. Zuletzt versuchte die „Junge Welt“ vermittelt durch den Borot’ba Aktivisten Sergej Kirichuk eine Veranstaltung mit den Nazi-Publizist*innen Aleksej Kochetkov und Stanislav Byshok durchzuführen, die aus militanten Strukturen kommen und bis heute Soli-Kampagnen für Nazi-Terrorist*innen unterstützen. Selbst Politiker*innen der Linken entblöden sich nicht den Propaganda-Müll der Milizionäre der „Volksrepubliken“ zu verbreiten.

Der Aufruf der antifaschistischen Musiker*innen und Gruppen wurde leider auch von aufgrund problematischer Äußerungen umstrittener Bands wie Stage Bottles, den Klowns aus Sankt Petersburg, die aufgrund eines xeno- und homophoben Lieds vom Ultrash ausgeladen wurden, sowie der russische Band 210, die sich selbst als patriotische Antifas bezeichnen, unterzeichnet. Mit Distemper, What we feel, Brigadir, Mister X aber auch Ultrà Sankt Pauli und vielen anderen haben aber auch korrekte Gruppen den Text unterschrieben.

Angesichts der widerlichen Lügen von Seiten der ukrainischen Regierung und der mit ihr sympathisierenden Netzaktivist*innen, die permanent eine russische Invasion halluzinieren, um die Intervention von NATO-Truppen zu erzwingen, sowie der russischen Propaganda, die ständig ein Massaker nach dem anderen erfindet, Verschwörungstheorien streut und den baldigen Kollaps des ukrainischen Militärs aufgrund von massenhafter Fahnenflucht behauptet, fällt es schwer Stellung zu beziehen. Auch hierbei ist der Aufruf wichtig, da er sich dem Wahnsinn entzieht. Denn eines ist und bleibt offensichtlich – in der Ukraine herrscht Krieg. Dort kämpfen verängstigte und verarmte Bürger*innen, bezahlte Söldner*innen, Nationalist*innen und militante Nazis auf beiden Seiten gegeneinander. Die Chance auf eine andere Gesellschaft, ohne Korruption und Oligarchie, ist längst im Blut der Kämpfe auf dem Maidan im Februar, nach dem Massaker im Gewerkschaftshaus in Odessa am 2. Mai, auf einem Feld unweit des Dorfes Tores im Osten der Ukraine, wo 298 Insassen des Fluges MH17 starben, sowie hunderter ziviler Opfer der Kämpfe im Donbass ertrunken.

Korrigierte und bearbeitete Fassung des Textes aus dem Ultra Unfug #201. Das Bild ist übrigens von Denis Pachenko und hat den Titel „Gegen Glaube, Ruhm und Ehre – Für Freiheit und Gleichheit“ (zum Vergrößern, rauf klicken).

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