Istanbul United – Eine Rezension

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Am 18. September war der Kinostart von Istanbul United. Das ist jetzt schon einige Wochen her. Und schon gibt’s über den Film wenig zu hören. Und zwar obwohl erlebnisorientierte Kucker*innen und Ultras gerne und schnell alles konsumieren, was mit den Fan-Aktivitäten im und rund um das Stadion zu tun hat. Der Film ist irgendwie untergegangen. Aber vielleicht ist das auch ganz gut so. Denn, so interessant das Label „Istanbul United“ vor allem für westliche Ohren klingen muß und aus einer emanzipatorischen Perspektive auch wünschenswert wäre, im Film ist davon nicht viel zu finden.

Ich hatte mich wirklich sehr auf den Film gefreut. Ich mochte die Utopie von „Istanbul United“ wirklich gerne. Und ich war sehr interessiert, wer aus den Fanszenen so zu Wort kommen würde. Schon vor Jahren hatte mich das Interview mit Alen Markaryan, einem der Vorsänger der Carsi, im Ballesterer (Das Rückgrat vom Bosporus, #58) fasziniert. Schon damals waren übrigens mehr als hundert Menschen der Gruppe mit Stadionverboten belegt. Als sich die Besiktas-Ultras beim Gezi-Park Protest engagierten, stand wieder eine Repressionswelle an. Ende Mai kam es nach dem Abschiedsspiel für das alte Stadion rund um den Taksim Platz zu Auseinandersetzungen mit der Polizei inklusive Wasserwerfer-, Knüppel- und Tränengas-Einsatz sowie Verhaftungen. Die Übergriffe auf die Occupy Gezi Bewegung Ende Mai wurde deshalb von den Carsi als Fortsetzung der Staatsgewalt gesehen und sie haben sich deshalb von Anfang an engagiert und den Park verteidigt.

Als die Situation im und um den Gezi Park eskalierte, habe ich mehrfach den Livestream geschaut und Videos gesucht. Ein Video werde ich dabei nie vergessen. Es war circa 10 Minuten lang. Die Kamera war statisch und schaute in eine Straße. Drumherum liefen Menschen herum und sammelten Zeug zusammen. Ich dachte erst, wie langweilig, außer vertrocknetem Boden und einer leeren Straße ist wenig zu sehen. Doch dann waren schon Gesänge zu hören. Chöre. Die immer lauter wurden. Dann waren die ersten Reihen zu sehen. Bengalen wurden geschwenkt. Der Zug kam immer näher auf die Kamera zu. Die Gesänge wurden lauter. Immer mehr Fackeln brannten. Und als die Spitze der Demo am Platz ankam und ich dachte, daß sie sich gleich mit den Parkbesetzer*innen vereinen würde, drehte der Zug einfach nach rechts und lief weiter. Mehrere Minuten waren nun Menschen, Fahnen, Bengalen usw zu sehen, die wahrscheinlich zum Taksim zogen. Um sich der Polizei entgegen zu stellen. Und vielleicht den legendären Bulldozer klauen, um mit ihm die Absperrungen der Polizei platt zu machen… Das ist meine Erinnerung an Occupy Gezi, an Istanbul United. Und darum wollte ich den Film sehen. Ende September kam er dann endlich ins Kino.

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Der Film ist als crowdfunding Projekt entstanden. Dafür kam er ziemlich schnell raus. Vielleicht sogar zu schnell. Eine Struktur, läßt sich trotzdem finden. Der erste, sehr ausführliche Teil beschäftigt sich mit den entsprechenden Fanszenen. Von Fenerbahce aus dem Stadtteil Kadiköy auf der asiatischen Seite und Galatasaray aus dem Stadtteil Beyoğlu, wo sich sowohl der Gezi Park als auch der Taksim Platz befindet, kommen mehrere aktive Fans zu Wort. Unter ihnen Ultras der Gruppen Vamos Bien (Fenerbahce) und UltrArslan (Galatasaray). Ungewöhnlich ist, daß keine Person der Galatasaray Gruppe Tek Yumruk interviewt wurde, obwohl vor allem diese Gruppe zusammen mit Carsi die Proteste unterstützte, wie Yagmur Nuhrat – Soziologe und Anthropologe, Besiktas Fan – im Interview mit dem Ballesterer (Mit den Waffen der Polizei vertraut, #83) erzählte. UltrArslan dagegen hielt sich, wie auch im Film zu sehen ist, sehr zurück und positionierte sich im Gegensatz zu Carsi und Vamos Bien nicht offen zu den Protesten. Genauso auffällig ist, daß nur eine Führungsperson von Besiktas, kein Carsi Ultra, sondern ein „Leader“, zu Wort kommt. In diesem ersten Teil geht es teilweise pathetisch um die jeweilige Vereinsidentität sowie ziemlich widerlich um die Rivalitäten zwischen den Vereinen. Im neuen deutschland wurde letzteres als Gewaltverherrlichung kritisiert, was sich nicht ganz von der Hand weisen läßt.

Der zweite Teil kommt nach einem abrupten Schnitt. Vorher geht es noch um Fankultur, Gesänge, Fußball und Rivalität, da bricht plötzlich die Polizeigewalt ein. In verwackelten, verrauchten und verpixelten Bildern sieht das Publikum, wie sich vor allem Frauen und alte Männer gegen gepanzerte Polizist*innen wehren. Dann kommen die Ultras, die Beschützer*innen, die mit Gasmasken ausgestatteten aktiven Fans, die sich scheinbar geübt gegen die Repression und das Gas wehren. Sie negieren sich als Opfer zu fühlen und schleudern den Sicherheitsbeamt*innen nicht nur ihr Gas zurück. Sie singen: Schieß doch, schieß doch, schieß doch dein Tränengas. Wirf den Knüppel weg, zieh den Helm aus. Dann sehen wir wer der Boss ist. Zwischen den Riotvideos gibt es immer wieder interessante Interviews mit Aktivist*innen vom Gezi-Park. Die entfalteten Diskurse, über die nicht rückgängig zu machende Emanzipationsbewegung, kannte ich zum Teil. Aber dies auch nochmal zu sehen und zu hören, fand ich doch interessant. Die Äußerungen der Fans zu den Protesten waren aber eher belanglos.

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Der Schritt vom ersten zum zweiten Teil war abrupt, aber passend. Auch wenn die Polizeirepression und der Protest durchaus Vorformen hatten, kann die Eskalation um Occupy Gezi doch als schockhafter Einbruch der Gewalt dargestellt werden. Der Übergang vom zweiten – also den Protesten – zum dritten Teil, vielleicht so was wie eine aktuelle Situation, kam irritierend unspektakulär. Der Park wurde geräumt und alles war vorbei. Der Spirit der Freiheit blieb irgendwie. Keine*r wußte wie, aber er soll noch da gwesen sein. Die Fans hauen sich scheinbar jetzt nicht gleich auf die Fresse. Sie haben bemerkt, daß die Anderen doch auch Menschen sind. Aber ein Gemeinsam wird dennoch nicht gezeigt. Der Galatasaray Gesprächspartner muß das Derby außerhalb des Stadions schauen. Diese Repression wird nicht besonders thematisiert. Die Besiktas Fans feiern skurril das Spiel. Und am Ende gibt es nach vermeintlich skandalösen Schiedsrichter*innen-Entscheidungen einen Platzsturm… Was vollkommen fehlt, sind die Repressionen gegen die Carsi. Zahlreiche derjenigen, die sich aktiv und teilweise militant an den Protesten beteiligt haben, sitzen im Knast. Die führenden Köpfe von Carsi sollen lebenslänglich inhaftiert werden. Noch viel mehr Ultras von Besiktas haben Stadionverbote. Die Gruppe selbst soll als kriminelle Vereinigung verboten werden. Die FIFA sperrt sie aus, weil den Schweizer Fußballbonzen das „Anarchie-A“ im Banner der Gruppe nicht gefällt… All das fehlt.

Und so entsteht tatsächlich der Eindruck, wie ein*e begabte*r Nachwuchsautor*in mir gegenüber enttäuscht, wütend und zurecht echauffiert beim Gespräch über den Film eben jenem attestierte, daß er womöglich die drei Fanszenen vorführen, sie schlecht machen und so schließlich diffamieren möchte. Angesichts der mangelnden Distanzierung oder zumindest Einordnung sexualisierter Gewalt und Vernichtungsphantasien sowie der Darstellung von zum Teil wirklich peinlichem Support, bleibt den Zuseher*innen beinah nichts anderes übrig, als die Fanszenen von Galatasaray, Fenerbahce und Besiktas ganz schnell wieder zu vergessen. Das kann aber eigentlich nicht die Intention der Filmemacher*innen gewesen sein. Doch was sie tatsächlich rüber bringen wollten, bleibt schleierhaft. Das Dargestellte wirkt einfach zu planlos und zufällig zusammengeschnitten. Von „united“ ist sowas von nix zu spüren. Die Interviewpartner*innen aus den verschiedenen Fanszenen sind nicht einmal gemeinsam zu sehen und werden gemeinsam befragt. Der Film endet mit einem Platzsturm beim Derby. Also: Alles beim Alten? Die Rivalität geblieben, welche zur Abgrenzung von den anderen homophobe und sexistische Beschimpfungen benötigt? Gab es dieses „Istanbul United“ überhaupt, was die erlebnisorientierte Fraktion rund um den Blickfang Ultra und andere interessierte Fankultur-Enthusiast*innen so herbeisehnen? Und wieso kommen eigentlich die Carsi im Film so wenig zu Wort? Weil sie alle schon im Knast oder im Untergrund waren? Tja, viele Fragen, die sich auch Laura Piotrowski bei Fußball gegen Nazis gestellt hat.

Was bleibt also und warum sollte mensch den Film vielleicht doch anschauen. Hm… Tja… Keine Ahnung… Wer die große Auseinandersetzung mit den Gezi-Park Protesten und das Engagement von Fußballfans erwartet, sollte den Film nicht schauen. Wer relativ schmerzfrei und einen winzigen Einblick in die türkische Fankultur erleben will, darf sich den Film ruhig mal an tun. Aber seid gewarnt: Es bleibt oberflächlich. Und es bleibt Enttäuschung. Schade eigentlich. Tolle Idee. Schönes Motto. Und ich hatte mich so sehr auf den Film gefreut.

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