Weg mit der g’schissenen Liebe!
Am Wochenende vom 4. bis 6. September 2015 war spielfrei. Die Verbandsteams stritten sich darum, bei der europäischen Meisterschaft der nationalstaatlichen Filialen dabei sein zu dürfen. In ’schland blieben die Plätze in den höheren Spielklassen leer, wozu offenbar auch die Regionalliga gehört. In anderen Ländern sieht das anders aus. Das bedeutet, dass die Hopping Tour starten kann. Für mich ging’s nach Wien zum Dörbi. Nicht zum sogenannten Wiener Derby zwischen den großen Vereinen Rapid aus der Vorstadt Hütteldorf und dem FK Austria aus Favoriten, sondern zum Dörbi auf die Hohe Warte zwischen der First Vienna und dem Wiener Sportklub.
Dieses Spiel wird von der gewohnt gut informierten und kreativen österreichischen Presse als „Derby of Love“ bezeichnet. Die Kontrahent*innen wissen davon zwar nix, aber sind auch nicht ganz unschuldig an dieser Bezeichnung. Schließlich hatten ein paar Witzbolde 2007 ein Fanzine unter genau diesem Titel veröffentlicht, um mit „Schmäh“, das heißt mit poltrig kreativer Satire, über Rivalität und Liebe zu lästern. So erzählen es zumindest die Wanderers ’08, die Supporter*innen-Gruppe der Vienna, im Dörbi Special Zine „Gardener“. Die Trottel von der Sportpresse haben den Schmäh offensichtlich nicht kapiert und faseln seitdem vom „Derby of Love“ und weder die Blaugelben Döblinger noch die Schwarzweißen aus Hernals können damit etwas anfangen. Sie hauen sich zwar nicht die Köppe ein, wenn sie sich sehen. Oder zünden gegenseitig Fan- oder Gruppenmaterial an. Zwischen ihnen zählt viel mehr die gesunde Rivalität und der Respekt, was aber nicht mit Liebe gleichgesetzt werden kann oder von beiden Szenen damit verwechselt wird.
Dass die Döblinger das Dörbi ziemlich ernst nehmen, war schon Wochen vor dem Spiel zu spüren. Schließlich veröffentlichten die Wanderers nicht nur ein grandioses Video vom letzten Auswärtsspiel in Hernals mit viel Rauch, Pyro und Ottakringer, sondern auch Eckdaten zur geplanten Choreo. Es waren nämlich 600 Meter Stoff und 60 l Farbe bestellt worden. Das nenne ich mal eine Hausnummer. Und es klingt nach einer Menge Arbeit. Hat sich aber gelohnt, dass kann an dieser Stelle schon mal vorweg nehmen. Aber mehr später…
Übrigens, ich muss sagen, dass ich bei diesen vielversprechenden Vorabinfos selbst schon mächtig aufgeregt war. Nach der ersten fetten Choreo über die gesamte Curva Nord im Mai 2013 in Livorno wollte ich mir dieses historische Ereignis auf der Hohen Warte echt nicht entgehen lassen und war gespannt auf die Vienna Leute. Und sie haben mich nicht enttäuscht. Der Spieltag begann schon 16 Uhr. Am Karl-Marx-Hof, dem kilometerlangen Sozialbau im Norden von Wien, trafen sich die ersten Vienna Leute. Für Nachschub mit Flüssigem sorgte der Billa Supermarkt direkt über die Straße. Um 18 Uhr ging’s ins Stadion – Choreo und Hefte vorbereiten. Für mich war das der Moment, noch bevor die Massen auftauchen würden, das Stadion zu erkunden. Da es zwar verschiedene Fansektoren aber keine Fantrennung gab, war das auch kein Problem. Selbst die Cops haben sich nicht ernsthaft interessiert, wer da so rum wandert. Die hatten viel mehr damit zu tun die Vienna Supporters voll zu labern, dass sie bloß nicht zünden sollten. Und überhaupt dieses Pyro ganz ganz böse is… Mir war’s egal. Ich bin rumgewandert um schon frühzeitig, das heißt so circa 1 ½ Stunden vor Anpfiff um 20:30 Uhr im Block auf der Tribüne zu sein.
Zu diesem Zeitpunkt war die Choreo fertig vorbereitet und die Leute lenkten sich mit Biertrinken und Gesprächen ab. Eine Stunde vorher wurde es langsam enger im Block. Die Nervosität steigerte sich und die Sonne ging unter. Genau gegenüber von der Tribüne. Hammer! Diesen Blick werde ich wohl so schnell nicht vergessen… Eine halbe Stunde vor Anpfiff war der Block voll. Die Gäste waren jetzt auch schon da und so vergingen die letzten Minuten verdammt schnell. Und dann war es soweit. Der Anpfiff stand kurz bevor und eine ungefähr 80 Meter lange, Riesen-Blockfahne in Blau mit gelber Schrift wurde hoch gezogen. Auf der einen Seite stand FVFC für First Vienna Fußballclub und auf der der anderen 1894, also das Gründungsjahr des Vereins. In der Mitte, über den Köpfen der VIP-Sitze, die auch mal mitmachen sollten und offensichtlich auch wollten, prangte das Logo der Vienna. Die Fahne wurde schön lange gehalten, ging dann aber pünktlich zum Anpfiff wieder runter. Sah sehr sehr schick aus.
Das Spiel begann und es war schnell klar, dass der Tabellenletzte aus Hernals auf Punkte aus war. Schon in der vierten Minute traf der Sportklub aka Wurschtklub nach eklatantem Torwart*fehler zum 1:0. Die Gastgeber*innen egalisierten den Spielstand ungefähr ein Viertelstunde später und erhöhten dann gleich mal auf 2:1. Kurz nach Wiederanpfiff traf die Vienna wieder und das Spiel war eigentlich gelaufen. Aber die Wurschtklubber*innen gaben nicht auf und trafen kurz vor Abpfiff noch zum 3:2. Fast hätte es noch den Ausgleich gegeben. Aber das Dörbi endete gut. Vienna hat mit dem besten aller Ergebnisse gewonnen und die Party konnte beginnen.
Angesichts der gelungenen Choreo und der aufgestauten Nervosität war der Support richtig fett. Ich hätte nicht gedacht, dass ohne Vorsänger*in und ohne organisierten Support soviel drin ist. Vom Stil her war’s eher englisch. Das heißt wenig Fahnen – nämlich zwei, manchmal auch drei – und anderem visuellem Tifo. Es gab einige Schlachtrufe, die fett rüber kamen und ein paar der bekannten Gesänge aus deutschen Stadien. Und, das will ich nicht vergessen, „Truly madly deeply“ von Savage Garden wurde durchgesungen, mehrmals. In der zweiten Hälfte gab es auch ein paar Klatscheinlagen. Hat mir echt gefallen. Und ich würde fast behaupten, dass die Leute doch einen geordneten Support wollen. Noch ein paar Spiele, dann ist es soweit und es kann sich endlich wer vorn hinstellen. Die geeigneten Personen wären vorhanden. Aber das ist eine ganz andere Geschichte…
Nach dem Spiel war für mich Chillen angesagt. Obwohl aus dem Stüberl direkt am Stadion schöner Ska und Reggae zu hören war, was durchaus nach dem Tanzbein schrie. Aber es war einfach kein Durchkommen. Also: Biertrinken, Schnacken und abhängen. Is ja auch was feines. Und so ging ein schöner Tag zu Ende… Bleibt nur noch mich bei den Wanderers und den First Vienna Supporters, einem Bündnis verschiedener Gruppen aktiver Fans und Einzelpersonen, zu bedanken, die für ein grandioses und unvergessliches Dörbi gesorgt haben. Also: Tausend Dank! Und wir sehen uns bestimmt mal wieder – in Wien, Babelsberg oder sonstwo.
Zuerst veröffentlicht im Ultra Unfug #218. Die folgenden Bilder gibt’s aber nur hier.
Schlagworte: Dörbi, First Vienna, Hohe Warte, Wanderers '08, Wiener Sportklub