Wat’n Theater XXIX – No acting! Anger!

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Geht das eigentlich noch? Theater in Zeiten der Krise? Kunst in Zeiten des Krieges? Fußball in Zeiten tausender geflüchteter Menschen, die sich auf den Weg machen, in ein Europa, das sie gar nicht will? Müsste nicht eigentlich der Alltag stehen bleiben? Angesichts der Hunderten, die Nachts aufstehn und sich zum Beispiel am LAGeSo in Berlin anstellen und warten. Egal, ob es regnet oder schneit. Sollten wir nicht in den Gerichtssälen sein, wo die aktuellen Asyl- und Bleiberechtsverschärfungen existenziell bedrohliche Konsequenzen hervorbringen. Sind wir nicht eigentlich verpflichtet, alles stehen und liegen zu lassen, unseren Urlaub zu nehmen, nicht für die dämlichen Auswärtsspiele in der Woche, sondern um zu helfen und vor allem um dem Rassist*innen-Pack, dass sich selbst als Asylkritiker*innen und Besorgte Bürger*innen verharmlost ordentlich in den Arsch zu treten. Und müssen wir nicht eigentlich den Geflüchteten und Marginalisierten zu hören und sie sprechen lassen, in Zeiten, wo nur in regressiv rassistischen Zuschreibungen über und gegen sie gesprochen wird?

Das frage ich mich in letzter Zeit immer öfter. Und ich muss sagen, dieser übertriebene, dieser deprimierende und frustrierte, dieser viel zu emphatische Fatalismus, der eigentlich auch die Auflösung der Geflüchteten bedeutet, wurde mir durch Kunst und Performance ausgetrieben. Denn statt sich in Selbstmitleid sowie der Überidentifizierung mit dem Leid der Anderen, der geflüchteten Menschen zu verlieren, versuchte das Gorki Theater in seinem 2. Berliner Herbstsalon in der zweiten Novemberhälfte die Themen Migration, Flucht, Willkommenskultur, Existenz geflüchteter Menschen und den anderen damit verbundenen Diskursen einen Ort zu geben. Mitten in Berlin, nur ein paar hundert Meter entfernt vom Bundestag und den Fraktionen, die für die Verschlechterung der Situation Geflüchteter verantwortlich sind, nur wenige Kilometer vom LAGeSo und quasi einen Steinwurf entfernt von Kackfirmen, die auch mit Waffen und der Spekulation mit Lebensmitteln ihr Geld verdienen, wurde Kunst gegen die Marginalisierung ausgestellt, künstlerisch interveniert, bekamen Geflüchtete performativ das Wort und es wurde debattiert.

Ich war besonders von der Ausstellung sehr beeindruckt. In über zwanzig Kunstwerken von abschreckenden Comics der Konrad Adenauer Stiftung zur Flucht nach Europa, über die Aufbewahrung und Präsentation von Objekten aus Boten von Geflüchteten, Filmen, Dokumentationen, Videoinstallationen, mit WE WILL RISE einem Archiv der Protestbewegung geflüchteter Menschen und Ort der Debatte, mit beinah schon situationistischen Kartografierungen der Ohlauer, mit dem Radio 030, das von 14 bis spät abends die Geschichten Geflüchteter auf der Flucht und in Berlin sendete, und noch viel mehr wurden verschiedene Facetten betrachtet und künstlerisch verarbeitet. Da war von Wütend-Machendem, Lächerlichem, Nachdenklichem bis Witzigem so viel dabei. Wahnsinn! Und danach lässt sich die Frage nach Kunst in Zeiten des Krieges und der Krise nur mit einem großem JA! beantworten.

Mag sein, dass dieser Herbstsalon kein gesellschaftlich-politisches Echo hervorgerufen hat. Die Verantwortlichen für den Umgang mit Geflüchteten und die Rassist*innen dürften sich ebenfalls wenig um die Kunst, die Interventionen und die Performances geschert haben. Aber dennoch bleibt etwas ganz wichtiges. Nämlich: Es muss und es darf nicht nur über geflüchtete Menschen als Opfer, als bemitleidenswerte Geschöpfe gesprochen werden, die in einem beinah neo-kolonialistischen Reflex an die Hand genommen werden müssen. Sondern es geht vielmehr um Begegnung, um Ent-Marginalisierung und vor allem um Teilhabe. Auch in der Kunst. Und auch im Fußball. Das heißt nicht, dass es keine Unterstützung und kein Auseinandersetzung mit Flucht und Migration geben darf. Aber sie sollte immer inklusiv sein. Wie wir es in Babelsberg mit dem Dritten Team aus Geflüchteten und der Möglichkeit für Neu-Potsdamer*innen und ihre Freund*innen im KarLi Fußball zu schauen, bereits praktizieren.

Also: Jede*r sollte seinen Weg finden, wie sie*er sich positioniert und was sie*er tut. Künstler*innen machen Kunst. Performer*innen intervenieren performativ. Vereine bieten einen Ort für etwas Abwechslung und Sport. Und Fußballfans machen das, was sie am besten können, nämlich kreativ und engagiert, nicht minder performativ auf die Situation von Geflüchteten aufmerksam zu machen, zu helfen, einzuladen, zu organisieren und ekstatische Erlebnisräume für ALLE zu schaffen, ohne Diskriminierung und Ausgrenzung. Und geht mal wieder ins Theater. Zum Beispiel zu IN UNSEREM NAMEN ins Gorki. Oder zu LETTERS HOME von Refugee Club Impuls (RCI), als nächstes am 20. Dezember 2015 als Gastspiel in der Schaubühne am Lehniner Platz.

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