Wo is‘ meine Stimme hin?

Ja, wo is‘ sie nur. Wo is‘ sie geblieben… Gestern war sie noch da. Aber kaum auf dem Weg zurück nach Berlin hat sie sich verabschiedet. Und heute is‘ sie ganz weg. Naja, sie kommt schon wieder. Wenn schon ich mir nach der fröhlichen lauten Partyfahrt in die hessische Blechbüchse in Wiesbaden keine Ruhepause gönnen durfte und heute morgen wieder ran mußte, soll sie sich ruhig mal ausruhen. Nach so ’ner tollen Saison mit den Babelsberger*innen – in und außerhalb der Nordkurve – darf’s jetzt auch ma‘ ein bißchen gemütlicher werden.

Der Tag hatte mitten in der Nacht begonnen. Um drei aufstehen, duschen, ’nen doppelten Caffè genießen und ab nach draußen, oder besser in den Berliner Untergrund. In ’ner S-Bahn sammelten sich dann allmählich die reisenden Berliner Nulldreier*innen. Am Bahnhof Babelsberg sollte dann noch schnell Proviant aufgefrischt werden und ab ging’s zum Treffpunkt. Angekommen am Lutherplatz war schon kurz vor fünf ein ordentlicher Auswärtsmob am Start. Manche*r war zwar erstma‘ sichtbar lediglich physisch anwesend, der kreativ undogmatische Geist sollte mit aufgehender Sonne aber folgen.

Der Partybus war schnell gefüllt. Die Cuba libre Bar machte sich auf den vorderen Plätzen breit. Gleich gegenüber eröffnete der Biertresen. Im hinteren Bereich des blauweißen Partyliners ließ sich die Schubi-Du-Bar mit einem reichhaltigen Angebot süßer bis minziger leckerer Tropfen nieder. Ich trink so was ja nich‘. Yok Quetschenpauas proletarischer Imperativ, nachdem die Arbeiter*innen den Schnaps meiden sollten, is‘ mir da doch zu sehr ins Hirn gebrannt. Ich hätt‘ ihn nur gebrochen, wenn es ein leckeres echtes Wässerchen gegeben hätte und nich‘ diesen 37,5 Prozent Fusel. Also, nochma‘ ihr jungen Hippies, lernt von Mendeleev, vergeßt sein unnützes Periodensystem und trinkt das gesunde Wässerchen, das Gold des Ostens, den einzig wahren Vodka.

Musikalisch sah’s im Partybus ebenfalls etwas wilder aus. Dudelte im Schlafwagen der Hessen-Tour in jedem Bundesland ein anderes Hitradio, rockte der Partybus – allerdings mit mindestens genauso vielen Schläfer*innen auf den Sitzen – durch die regengetrübte Landschaft. Die interessierte aber auch keine*n. Schließlich gab’s wichtigeres zu tun. Zum Beispiel nostalgisch in der Vergangenheit und den eigenen Gehversuchen in Sachen Fankultur schwelgen, tratschen, lästern, ein bißchen dichten und vor allem Bier trinken. Letzteres ging am Besten am Tresen gleich vor den Havelpirat*innen über’m Klo.

Die Stunden bis zur Ankunft in der sowas von häßlichen hessischen Hauptstadt sind verflogen regelrecht. So schnell hab ich glaub ich noch nie mehrere Hundert Kilometer hinter mich gebracht. Und alles ohne einen Moment Langeweile. Sehr schön!

In Wiesbaden angekommen, erwarteten uns schon die Schützmenschen und versuchten uns zur Blechbüchse zu geleiten. Der vorausfahrende motorisierte Schutzmensch schien dabei sowas von überfordert, daß er sich gleich ma‘ verfuhr. Unser*e Busfahrer*in ließ sich allerdings nich‘ verarschen, drehte ’ne Runde und brachte uns sicher vor die Brita-Arena. Die interessierte dann allerdings erstma‘ wenig. Das schmucke Rund mit neuer Tribüne daneben zog die weitgereisten Nulldreier*innen eher an. Also, aus ‚m Bus, rein ins Stadion, VoKü aufgebaut und erstma‘ futtern.

Während die einen ihre erste feste Mahlzeit einnahmen, ertüchtigten sich andere sportlich auf dem glitschigen Rasen. Das sorgte, nachdem die uniformierten Spielverderber*innen das runde Leder vom satten Grün verbannt hatten, für einige Unruhe bei den Essenden. Die ein oder andere Schüssel flog durch die Gegend. Das Essen wurde aber so schnell weg schnabbuliert, daß wenig auf ‚m Boden landete. Und wo wa‘ grad dabei sind – ein riesengroßes Kompliment an die von den von der Datscha fabrizierten sehr, sehr leckeren veganen Kartoffelsalat und das fleischlose Gulasch.

Nach circa einer ¾ Stunde ging’s dann ab in die Blechbüchse. Weil es plötzlich anfing mächtig zu regnen, war an einen gemeinsamen Einzug nich‘ zu denken. An den zwei Kassen staute es sich nie. Wer will schon bei nassen Strippen von oben lange rumsteh’n. Die Kontrollen hätte mensch sich angeeichts dieses Dreckswetters eigentlich sparen können. Sie war’n aber auch nich‘ übermäßig nervig. Ging schon…

Endlich drinne, in der Arena, hieß es erstma‘ sich organisieren und die Näße aus den Knochen zu schütteln. Das Grauen ließ es sich dennoch nich‘ nehmen, mich ordentlich zu erschrecken. Da spulte so ’ne*n Rummel-Animateur*in und politische*r Arschkriecher*in derart nervig ’ne Mallorca-Performance ab, daß mir spontan richtig übel wurde. Hinzu kam noch eine Art Vorspiellobhudelei mit den heimischen Vereinsoffiziellen und dem konservativen Arschloch Volker Bouffier. Nie hat „Halt die Fresse“ besser gepaßt. Dementsprechend laut wurden die Kommentare des Stadionhampelmenschen im Laufe des Spiels gekontert.

Das Spiel war nich‘ besonders ansehnlich. Abwehrarbeit war zumindest in der ersten Hälfte nich‘ angesagt. Die Gastgeber*innen suchten den schnellen Torerfolg und standen ein paar Mal gefährlich am Torraum. Der sogenannte „tödliche“ Paß kam allerdings nich‘ und so blieb es lange ausgeglichen. Den ersten Höhepunkt setzten allerdings die Babelsberger*innen. Nach circa einer viertel Stunde grätschte Stroh-Engel zur 1:0 Führung ein. Der Jubel im gerade wärmer werdenden Gästeblock grandios. Leider kassierte der SVB im direkten Gegenzug den Ausgleich. Ein*e Wiesbadener*in fiel im Strafraum und schenkte den Gastgeber*innen den Treffer.

Die Kurve ließ sich davon nich‘ stören und feierte sich lautstark selbst. Nach dem Klassenerhalt am vergangenen Spieltag ging’s nich‘ mehr so sehr darum die Mensch*schaft auf dem Rasen zum Sieg zu pushen, sondern es sollte eher eine schöne Saison mit seinen dämlichen Tiefen und unglaublichen Höhen verabschiedet werden. Und ich würde sag’n in der ersten Hälfte is‘ das richtig gut geglückt.

Die blauweißen auf’m Rasen brauchten gestern erstaunlicherweise gar keine Ansagen, wer so alles hinter ihnen stand und sie liebte. Selbst das schön rausgespielte 2:1 für die Wiesbadener*innen brachte sie nich‘ aus’m Konzept. Die Nulldreier*innen spielten fröhlich nach vorne und holten ebenfalls einen Elfer raus. Müller traf sicher und egalisierte noch in der ersten Hälfte. Die zweite Hälfte lief für den SVB schwungvoller. Die Babelsberger*innen spielten nun auf ihre Gästekurve und kamen zu einigen schönen Chancen. Wehen ließ sichtbar nach und hatte kaum Chancen. Erst nach circa fünfundzwanzig Minuten war’n sie mal wieder vor’m Nulldreier-Tor, trafen aber nich‘.

Leider dümpelte der Support in der zweiten Hälfte so vor sich hin. Mitmachquote gering. Der Tifo-Kern zu klein, aber dafür meines Erachtens ordentlich laut. Ganz so schlimm, wie sich das jetz‘ anhören mag, war’s aber nich‘. Ich würd‘ sag’n angesichts des Rummelperformers am Stadionmikrofons, des naßkalten Wetters und der ungemütlichen Blechbüchse war der Support durchaus in Ordnung.

Der Schock und die Stille kam aber in der achtzigsten Minute. Nach einem Zweikampf in der Luft fiel Makarenko und blieb bewußtlos liegen. Sofort war Ruhe in’ner Kurve. Abgesehen von ein paar ignorant identitären Spinnern schwiegen die Gesänge. Maka lag ewig am Boden. Endlose Minuten dauerte es bis die lahmen Sanitäter*innen da war’n. Das nächste ma‘ nich‘ flanieren, sondern sprinten und helfen, klar…

Es hatte ausgerechnet den Helden vom Bielefeld Spiel getroffen. Für mich war’n es grausame Minuten. Vor ein paar Wochen war Piermario Morosini ebenfalls auf dem Rasen zusammen gebrochen und schließlich gestorben. Mir schnürt sich heut‘ noch der Magen zu. Es ist echt grauenhaft nich‘ zu wissen, wer da liegt, wie es ihr*ihm geht… Die letzten fünf Minuten der Spielzeit passierte nix mehr. Bis auf einen als zweimenschen Chor begonnener Gesang für Maka, der leise begann und laut wurde und bis lange nach Abpfiff anhielt…

Nach diesem Schock ging’s zurück nach Hause. Endlich genehmigte auch ich mir eine Hopfenkaltschale. Den besagten Schnaps ersparte ich mir – eben auch aus Ermangelung des einzig gesunden Wässerchens. Die Stunden verflogen wieder. Nette Gespräche über manche Menschen im Besonderen und die Menschheit im Allgemeinen, über die schönste Stadt Italiens und ihre von mir ganz bestimmt idealisierten Bewohner*innen machten auch die Rückfahrt zu einem Erlebnis. Vollkommen absurd, selbstverständlich nur im nachhinein betrachtet, kommt mir die äußerst erhellende Debatte über Performance in der Gesellschaft und die brecht’sche Ermächtigung des Publikums sowie der künstlerischen Kulturarbeiter*innen vor.

Und dann war’n wa‘ schon wieder in der Filmstadt. Zusammenpacken, ausräumen und verabschieden war nu‘ nur noch angesagt. Danach ab in die Bahn und zurück nach Berlin. Und was passierte dann… Naja, meine Stimme verabschiedete sich, womit wir wieder am Anfang dieser Geschichte wär’n…

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