Ihr kriegt keine Stadtrundfohrt!
Wollt’n wir auch gar nich‘. Wer will schon diese Scheißstadt seh’n. Außerdem hatten wir schon bei der Anreise das „Vergnügen“ die verlassenen Altbauten, die geschlossenen Geschäfte, die leeren Straßen und ein paar himmelblaue Fans zu begutachten. Also, die Stadtrundfahrt gab’s schon. Es sollte einfach nur noch gemeinsam zurück nach Babelsberg und Berlin geh’n. Aber die sächsischen Schutzmenschen sind bei soviel Menschen offenbar derartig verunsichert, daß sie sich nur durch absurde Maßnahmen zu helfen wissen. Drecksland, Scheißstadt und ein lächerlicher Verein – das kulminiert sehr gut im CFC.
Der Tag hatte übrigens für uns sehr früh begonnen. Aufsteh’n um halb sieben. Halbacht losfahr’n zum Rosa Luxemburg Platz. Und Abfahrt um kurz nach neun. Stefan und über vierzig Babelsberg*innen machten sich auf den Weg zum ersten Saisonspiel in die Niederungen der ostdeutschen Provinz, die militanten Nazis des sogenannten NSU Unterschlupf gewährte und sich auch sonst gern im braunen Dreck suhlt. Naja… Proviant für die Fahrt gab’s zur Genüge. Sehr, sehr leckere Brötchen mit Kidneybohnenaufstrich und Gürkchen gingen ebenfalls mit auf die Reise. Bis Chemnitz war’n die achtzig Stück aber schon weg.
Die Hinfahrt lief zügig. Aus Berlin raus brauchten wir nich‘ mal ’ne halbe Stunde. Musiktechnisch begann die Fahrt mit russischen Hardcore. Danach gab’s Punk. Dann wieder Punk. Dann ein bißchen Oi. Irgendwann etwas Ska… Auf der Rückfahrt ging’s von vorne los. Allerdings mit einem kleinen Einsprengsel sehr genialer neuerer deutscher Sprechmusik… Meine 90er CDs hatte sich der Babelsberger Ultrà-Bus gekrallt. Gefallen hat’s ihnen nich‘. Tja, DJ Bobo, Blümchen und so’n Kram sind eben nich‘ meine 90er. Die war’n Lärm und Ska.
In Chemnitz angekommen, sah’s erstmal recht entspannt aus. Die Grüppchen der Schutzmenschen hielten sich zurück und beschäftigten sich eher mit sich selbst. Nur die passiv und aktiv bewaffnete Gang um die*en Hordenanführer*in machte sich wichtig. In Handschuhen und mit Kamera bewaffnet suchten sie sich ’nen „Opfer“ und schüchterten es ma‘ so richtig ein. In Beamt*innen-Sprech wird diese Arroganz und Willkür als „Maßnahme“ verharmlost und führt regelmäßig zu absurden Platzverweisen (ohne aufschiebende Wirkung) gegen die sich mensch nich‘ wehren kann.
Ergebnis der Intervention der Landesschutzmenschen war, daß die von der „Maßnahme“ betroffene Person draußen bleiben mußte und entscheiden werden mußte, wie sich mensch nun zu verhalten hat. Solidarität oder Support – das war die große Frage. Demo gegen diesen Repressionsschwachsinn oder in der Gästekurve für ordentlich Alarm sorgen gegen das Nazi-Pack, was sich in den Heimsektoren rumtrieb. Wir haben uns dann doch für die Gästekurve entschieden. Sehr viele blieben aber draußen und haben die Umgebung erkundet.
Angesichts des Blödsinns draußen, der Ohnmacht gegenüber der Behördenwillkür und dem Kassieren vermeintlich politischer Fahnen und Banner war in der ersten Hälfte an organisierten Support nich‘ zu denken. Nix ging. Naja, vielleicht bis auf ein bißchen Pöbelei in Richtung Heimblock, der nur so strotzte von Hitlerverehrer*innen, Nazi-Kindern in stinkenden Thor Steinar Klamotten und rassistischen, vermeintlich völlig unpolitischen Fans. Besonders erschreckend war, daß uns jegliche sichtbare Intervention des Menschenverstandes verwehrt wurde, die Chemnitzer Nazis aber kumpelhaft mit ihren Security-Kamerad*innen abhingen. Wenn für den CFC Politik in erster Linie antirassistisches und antifaschistisches Engagement bedeutet, dann sollten sie auch konkret dies in ihrer Stadionverordnung verbieten und nicht ein schwammiges Gesülze von sich geben.
Genauso krass, wie die Ignoranz gegenüber Menschenverachtung und volksverhetzenden Klamotten, ist die Totalüberwachung des Gästeblocks. Ausschließlich die angereisten Gäste werden nämlich von einem erhöhten Podest mit dem Werbeschriftzug der lokalen journalistischen Dreckschleuder Freie Presse von einer stationären und zwei weiteren mobilen Kameras überwacht. Selbst der Eingangsbereich wird komplett abgefilmt. So was hab ich nich‘ ma‘ in Italien erlebt. Der Verein sollte sich ma‘ sehr viel genauer die Konsorten anschau’n, die sich in den Heimsektor*innen rumtreiben und den Nazimüll dort einsammeln.
In der zweiten Hälfte wurde übrigens von einem ordentlichen Mob phasenweise richtig laut supportet. Der Fahneneinsatz sah zu Beginn der zweiten fünfundvierzig Minuten ordentlich aus. Das „Darum feiern wir“ kam sehr gut. Die Chemnitzer*innen konnten dagegen wenig aufbieten. Lediglich in den letzten geschätzten dreißig Sekunden machten die Heimfans in allen Blöcken mit. Ansonsten unterstützten die Heimfans ihre spielerisch überlegene Mensch*schaft lediglich die erste viertel Stunde der ersten Hälfte. Danach gab’s wenig aus der Südkurve zu hören. In der zweiten Halbzeit war’n die Ultras Chemnitz total verstummt. Nur noch ein oder zwei Blockfahnen mühten sich ab.
Die angereisten Babelsberger*innen verabschiedeten sich übrigens mit einem zünftigen Antipolizei Pippi Langstrumpf Tanz auf den Rängen. Danach ging’s zurück – wie oben schon erwähnt ohne die Stadtrundfohrt für uns alle, die wir allerdings schon hatten. Deshalb durfte nur der Berliner Bus ein paar besonders exotische Exemplare Chemnitzer Kleinstadtkultur bewundern und gebührend feiern.
Die Rückfahrt verlief gewohnt ruhig. Jetzt genehmigten auch wir uns den ein oder anderen Hopfensaft. Zurück in Berlin ging’s noch kurz zur Astrastube und dann ab ins Bett. Es war ma‘ wieder eine schöne Auswärtsfahrt, wobei die Aktion der Schutzmenschen einen bitteren Beigeschmack hinterläßt. Danke an die Berliner Orga und viel Spaß in Rostock, bei der nächsten Auswärtsfahrt!
Schlagworte: Auswärts, Dritte Liga 2012 / 13, Repression
23. Juli 2012 um 10:24 pm Uhr
„DARUM feiern wir…“