Bewußt-Sein oder Schein, das ist hier die Frage!
Respekt und Bewußtsein sind meiner Ansicht nach die Grundlage einer emanzipatorischen Gemeinschaft und sollten das Fundament einer progressiven Gesellschaft sein. Die Reflexion über die eigenen Unzulänglichkeiten und das kritische Hinterfragen der vermeintlich „natürlichen“ Prägungen sind immer wieder wichtig und schärfen die pädagogische, politische und erst recht die soziale Wahrnehmung. Für Fußballfans und vor allem für Ultras gesellen sich zu diesen Eckpfeilern einer anderen Gemeinschaft Loyalität und Supportwilligkeit.
In der Sommerpause lernten die Nulldreier*innen schmerzhaft, daß ihr Verein es zunehmend an Respekt ermangeln läßt. Die sportliche Leitung und die Spieler*innen, die in den dunkelsten Tagen im Mai 2011 zum SVB standen, wurden schäbig fallen gelassen. Die zugesagte Zusammenarbeit mit den selbstorganisierten Fanstrukturen und die Transparenz in wichtigen Vereinsentscheidungen blieben aus oder wurden offen unterlaufen. Statt Respekt gab’s vom Geschäftsführer lediglich Ignoranz und eine arrogante Verweigerung.
Von Bewußtsein habe ich in der Sommerpause ebenfalls wenig gemerkt. Diesbezüglich gab’s eher eine beinah schon dialektisches Bekenntnis zum Unbewußten durch die Verklärung der eigenen Inkompetenz im Vorstand. Als ob es erstrebenswert wäre als Diletant*in über die Zukunft eines Vereins mit mehreren hundert Mitglieder*innen zu entscheiden. Und mit den Betroffenen gar nicht erst zu reden, sondern sie beleidigt und trotzig zu schneiden. Statt dem so wichtigen Sein, daß, wie ich im Enrages Seminar beim Ultrash gelernt habe, das Bewußtsein bestimmen soll, präsentierte die Vereinsleitung folgerichtig ganz viel spektakulären Schein und inszenierte ein quasisakral aufgeladenes „Gesamtkonzept“, das bislang noch kein Mensch gesehen hat. Bis auf die selbsternannten Priester des Un-Bewußt-S(ch)eins. Das erinnert doch arg an die Fetischist*innen extraterrestrischer Erlösung, die durch verschiedene Logos, wie Kreuze, Sichel oder Sterne, in der Öffentlichkeit auftreten und ebenfalls auf etwas nie Gesehenes verweisen. Aber Schluß mit dem Gelabber, kommen wir zum Allerwichtigsten…
Gestern sollte im Karli mal wieder Ligafußball zu sehen sein. Der SVB lud zum ersten Heimspiel der neuen Drittligasaison. Und die Guten hatten eine echte Chance drei Punkte zu holen. Schon in Chemnitz sah’s meiner Ansicht nach recht gut aus. Nach ’ner verpennten Anfangsviertelstunde – in der Draußen noch diskutiert wurde, wie auf die Scheißrepression der Landesschutzmenschen zu reagieren wäre – wachten die Blauweißen bei den ganz, ganz Dunkelbraunen bis in den Fannachwuchs auf und präsentierten sich recht sicher. Der CFC konnte weder auf dem Platz noch auf den Rängen überzeugen. Auf dem grünen Rasen gab’s Magerkost mit harmlosen Pressing – wirklich nie gefährlich. Die Fans dünsteten gewohnt unterirdisch Nazimüll ab – selbst die Thor Steinar Kinder spukten fröhlich in den Gästeblock – blieben aber sonst harmlos. Und gestern knüpften die Nulldreier*innen nahtlos an, wo sie in Chemnitz aufgehört hatten – hinten sicher und nach vorne durchaus gefährlich.
Der gestrige Samstag begann für uns ungewohnt früh und mit kleineren Ausfallerscheinungen aufgrund eines deutlich verlängerten Kneipenbesuchs. Wir wollten aber früher los. Denn wenn schon zum Geburtstag (wie bei anderen Glücklichen) keine*r mit der ersehnte Dauerkarte winkte, mußt‘ ich sie eben selber kaufen. Und außerdem hatten wir für uns entschieden, selbstverständlich im Konsens beim Abendessen, schon früher in die Nordkurve aufzubrechen und den Supportblock zu unterstützen. Und das war notwendiger als wir uns vorstellen konnten. Und leider wir war’n trotz früherem Aufbruch vom Fanladen trotzdem etwas zu spät. Glücklicherweise ohne Konsequenzen. So wat muß aber absolut nich‘ sein. Also, auf geht’s Nulldreier*innen – kommt früher in die Kurve!
Die Stimmung im Stadion war recht durchwachsen. Regenschauer und Hitze sorgten offenbar für genügend Abwechslung, so daß die Kehlen lange leise blieben. Aus dem Mob heraus gab es zwar immer wieder mal kleinere Initialzündungen, die aber leider viel zu schnell verpufften. Der Fahneneinsatz war gerade in der ersten Hälfte ganz ordentlich. Das Einklatschen sah auch nich‘ schlecht aus. So richtig Stimmung kam aber erst auf, als das erste Tor fiel und nochmal mit dem brachial lauten (das wollte ich schon immer ma‘ schreiben) „Darum feiern wir“. Das muß mindestens bis zu den Yuppievillen auf dem Babelsberg geschallt haben und den verschanzten Privateigentumfetischist*innen den Schreck in Glieder fahr’n gelassen haben. Naja, ganz so laut war’s vielleicht nich‘, aber diese Almende-Diebe gehören trotzdem ma‘ versohlt…
Die zweite Hälfte fand ich eher enttäuschend. Fahnen kamen leider mich mehr zum Einsatz. War einfach zu naß und der Stoff zu schwer. Der Kleinblock aus den Zujezogenen, den Havelpirat*innen, einzelnen Nulldreinuller*innen und selbstverständlich uns gab, nachdem er sich in der ersten Hälfte noch nach Leibeskräfte mühte, in den zweiten fünfundvierzig Minuten deutlich nach. Die Ultras blieben ebenfalls weit unten ihren Möglichkeiten. Nach der nichtgegebenen roten Karte gegen Darmstadt aufgrund ’ner fetten Notbremse, dem nichtgegebenden Tor, das (passives) Abseits gewesen sein soll, und der gegebenen Roten gegen den eingewechselten Essig verschob sich die Konzentration von den Rängen auf den Rasen. War auch ziemlich unterirdisch, was das gelbschwarze Team da abgeliefert hat. Die Darmstädter*innen konnten davon aber nich‘ profitieren.
Besonders erwähnt werden sollte aber auf jeden Fall, daß die Nulldreier*innen auf dem Rasen mehrfach und nich‘ nur der übliche Verdächtige Markus Müller die blauweißen auf den Rängen zum Support animierten. Und die Blöcke reagierten. Selbst die recht gut gefüllte Tribüne ließ sich zu Begeisterung hinreißen. In ’ner Nordkurve wurde es für die letzten Minuten dementsprechend nochma‘ richtig laut. Nach dem Spiel bedankte sich die Mensch*schaft mit ’nem zünftigen Pogo auf’m Rasen. Den hatte ich eigentlich samt Ansage von Müller sogar gefilmt. Aber meine Unfähigkeit mit meinem Handy umzugeh’n, das ich übrigens schon (glaub‘ ich) drei Jahre habe, verhinderte, daß das Video gespeichert wurde. Naja, es gibt ganz bestimmt noch viele Gelegenheiten das Feierritual zu dokumentieren…
Apropos Dokumentation – hier ein paar Bilder.
Schlagworte: Bilder, Dritte Liga 2012 / 13, Fi'99, Nordkurve
30. Juli 2012 um 10:26 am Uhr
Dein Beiträg liest sich echt gut und bin auch voll deiner Meinung. Lese öfter deine Berichte.
Aber „daß die Nulldreier*innen auf dem Rasen“ ist doch quatsch oder?
Ich mein bei aller Symapthie für Gendermainstraiming, sind die Personen auf dem Platz nunmal biologisch männlich und daher Nulldreier. Wenn da auch biologische Frauen auf dem Platz gewesen wären oder Zwitter oder was weiß ich, wäre ich auch mit *Innen einverstanden. Ich musste bei Mensch*schaft zwar auch schon den Kopf schütteln, wenigstens war das semantisch aber nachvollziehbar. So ist das aber irgendwie sehr albern. I am sorry!
Und ich bin mir durchaus der Unterschiede zwischen „sex“ und „gender“ bewusst und weiß auch, dass Geschlechter sozial konstruiert sind.
Ein Mensch
30. Juli 2012 um 12:07 pm Uhr
ich kenne die menschen im kader des SVb nur aus der distanz. intim bin ich ebenfalls bislang mit ihnen nicht geworden. woher soll ich also wissen, was jede*r einzelne “biologisch” ist. und auch jenseits der vermeintlich unumstößlichen biologischen gewißheit, ein “mann” oder eine “frau” zu sein, woher soll ich wissen, wie sich jede*r einzelne selbst sieht… also, weder “biologisch” noch sozial ist für mich eindeutig geklärt, welchen gender die einzelnen spieler*innen haben.
hinzu kommt, daß dieses sternchen in erster linie darauf verweist, daß es überhaupt andere geschlechter jenseits der dichotomie “mann” / “frau” gibt. auch spieler*innen sind dabei nicht ausgenommen. diese schreibweise scheint für mich am konsequentesten und emanzipatorischsten…