Wat’n Theater XXXV – Wir sind Döblinger!

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Fußballfans singen gerne. Älteren unter euch und vor allem den Hopper*innen dürften die Ole! Gesänge volltrunkener Kutten noch in den Ohren klingeln. Wer sich während der WM oder EM mal auf’ne Fanmeile oder in eine Fußballkneipe verirrt hat, dem wird wahrscheinlich ein gegrunztes ’schland den Tag oder Abend verdorben haben. Aber es gibt in Fußballstadien nich nur widerwärtiges zu hören. Denn Fankultur kann auch kreativ und weniger kuttig sein. Wie zum Beispiel auf der Insel oder in den südlichen Ländern.

Ich will an dieser Stelle gar nicht von den Ultras erzählen. Dazu gibt’s genügend Literatur. Wobei die sich eher mit Mentalità & Scontri, mit Kämpfen und Gewalt auseinandersetzt. Dass Lieder neben aufwendigen Performances, im Ultra‘ Sprech Intro in klein und Choreo in groß genannt, nicht minder wichtig waren, wird herbei oft vergessen. Dass die Gesänge oft umgedichtete politische Parolen, Lieder der Resistenza sowie militanter Aktivist*innen und Antifaschist*innen aber auch alte Italo-Schlager sind, wird ebenfalls verdrängt. Die Wurzeln der Ultras in der antagonistischen Bewegung werden zwar reflektiert, aber bis zur ernsthaften, eben nicht auf die Gewalt fokussierten Auseinandersetzung reicht es dann aber doch nicht. Dann müßte mensch ja sein eigenes No-Politics-Dogma und den eigenen Gewaltfetisch hinterfragen.

Englische Fußballfans haben außer literweise biertrinken und Hooligans der Fankultur auch etwas ganz besonderes beschert. Nämlich den wahrscheinlich bekanntesten und meistzitierten Gesang. Eigentlich ein schnulziger Schlager avancierte „You never walk alone“ zu einer internationalen Stadionhymne und zur universellen Metapher fürs Fandasein. Es ist so was wie das Vater-Unser der Kurven und Gegengraden. Alle singen so laut es geht zusammen für den Verein, zur Feier oder zum Aufbauen des Teams, für all jene, die draußen stehn, die nicht mehr da sein können, für diejenigen, die neben einem fehlen… Und dieser Gesang funktioniert immer. Wirklich: Immer! Und: Überall!

Die Babelsberger Fanszene hat eine eigene Gesangstradition. Hier sind es vor allem Punk-Lieder von Ton Steine Scherben bis Dritte Wahl oder auch Rummeltechno-Hymnen, die gerne gesungen werden und sich halten. Das Zeckn-Lied dagegen is zwar bei sehr vielen beliebt, denn es bedeutet eine Aneignung, eine Umwertung der Nazi-Beschimpfung, in eine stolze Selbstbehauptung, die aber insbesondere von den Jüngeren vielleicht als leere Folklore abgelehnt wird. Is aber auch komisch, wenn gut abgesicherte Mitdreißiger*innen und Mitvierziger*innen irgendwas von Zeckn singen. Aber die* gemeinen Wohlfühllinken wollen sich ihre Tradition nicht nehmen lassen. Schließlich hat es lange genug gedauert, dieset Lied umzuwerten.

Ich finde dieses Liedchen, so wichtig es auch sein mag, nicht so richtig toll. Ich empfinde es auch nicht als befreiende Aneignung oder Umwidmung. Ich höre immer noch und bis heute auch den Haß des 90er Fascho-Packs in den viel zu bekannten Zeilen. Für mich ist und bleibt dieses Lied deshalb irgendwie weiterhin Nazi-Folklore. Aber noch schlimmer finde ich eigentlich, daß dieses Lied einfach nur umgewertet wurde. Bei anderen Aneignungen wie zum Beispiel bei Parolen, die zu Schlachtrufen wurden, bei Arbeiter*innen- und Partisanen-Liedern, bei Schlagern oder Punk-Hymnen wurde wenigstens ein neuer Text mit Bezug zum eigenen Verein oder der eigenen Fankultur gedichtet. Dieses Lied wurde von den Nazis einfach übernommen und lediglich das abwertende „ihr“ durch „wir“ ersetzt.

Die Vienna Fanszene ging da einen anderen Weg. Sie haben den vor allem in linken Kurven so beliebten Gesang übernommen und ihm einen neuen Text verpasst. Da heißt es dann:

Wir sind Döblinger! Asoziale Döblinger! Wir schlafn unter Porsches! Oder vorm Fünfsternehotel!

So geht es also auch. Die vermeintlich so schnöselige in erster Linie aber sehr heterogene Vienna-Szene hält den zuhörenden Anderen und sich selbst einfach die eigenen imaginierten Klischees von den reichen Döblinger*innen entgegen. So’n Blödsinn is aber auch selten dämlich, vor allem wenn sich mensch vergegenwärtigt, wo die Vienna spielt und wie oft sie in den letzten Jahren kurz vor der Pleite stand. Noch schöner finde ich aber nich nur, dass Ressentiments dekonstruiert werden, sondern dass die Kategorie „asozial“ umgekehrt wird. Denn die besungenen „Asozialen“ sind nicht arm und krepeln unterm Existenzminimum herum, sondern sie benehmen sich rund um Porsches und Fünfsterne-Hotels daneben. Wobei unklar bleibt, ob sie tatsächlich mit Luxuswagen durch die Gegend fahren und (auswärts) in Suiten wohnen. Aber das is ne ganz andere Geschichte…

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