Zum Derby nach Livorno

Am 14. April 2018, vor einem Jahr fand nach 16 Jahren erstmals wieder das Derby zwischen Livorno und Pisa statt. Diesmal in der Serie C. Und es war atemberaubend!

Schon zu Beginn der Saison gab es für die aktiven Szenen aus Livorno und Pisa zwei wichtige Termine: einmal Ende November letzten Jahres und Mitte April diesen Jahres. Denn es sollte endlich wieder ein Derby geben. Das Spiel in Pisa am 26. November 2017 wurde den Fans von den Vereinsoffiziellen des gastgebenden Vereins gestohlen. Die Tickets für die Gäste wurden auf 450 gedeckelt. Die Curva Nord Livorno rief postwendend zum Boykott auf, der auch von anderen aktiven Gruppen und den offiziellen Fanclubs mitgetragen wurde. Das Ergebnis war, dass lediglich 8 Tickets verkauft wurden und deshalb der Gästeblock komplett leer blieb. Die aktive Pisa Szene solidarisierte sich und ging ebenfalls nicht ins Stadion.

Zum Rückspiel gab es Befürchtungen, dass das Gästekartenkontingent womöglich wieder beschränkt werden konnte. Deshalb gab die Curva Nord Livorno noch vor der abschließenden Entscheidung zu den möglichen Beschränkungen ein Comunicato heraus und erklärte darin, dass es eine Reglementierung des Gästekartenkontingents nicht dulden würde, sondern sich nach einem echten Derby, mit einem zahlreich erscheinenden Gegner in der Gästekurve sehnt. Und es kam, wie es kommen musste. Die Vereinsoffiziellen des AS Livorno gaben den Gästeblock komplett für Pisa frei und ließen sich sogar darauf ein, keinerlei Materialverbote auszusprechen. So war also schon früh klar, dass es ein echtes Derby werden würde.

Bis zuletzt mussten wir, die kleine Reisegruppe, die noch im letzten Jahr zusammengefunden hatte, bangen. Denn die Flüge und Unterkünfte waren gebucht. Das Rahmenprogramm stand und sollte endlich fixiert werden. Doch das Spiel selbst wurde und wurde nicht terminiert. Es kursierten verschiedene Optionen, die von Freitag, den 13. April, bis zum 16. April gingen. Letzteres wäre ziemlich ärgerlich gewesen, weil ich damit absolut nicht gerechnet hatte und deshalb die Rückflüge auf diesen Tag fielen. Aber es ist ja noch mal alles gut gegangen und wir konnten uns auf ein paar tolle Tage in der vielleicht nicht schönsten, aber wahrscheinlich interessantesten Stadt der Toskana freuen.

Da wir das Derby noch mit Kultur und lecker Essen garnieren wollten, hatte ich mir schon früh über ein Rahmenprogramm Gedanken gemacht. Geplant waren Führungen zum Jüdischen Livorno, zur Geschichte der Stadt, lecker Essen möglichst jeden Abend und für die Hopper*innen unter uns der Besuch eines Spiels des FC Magenta, eines Teams, in dem neben einigen aktiven Livorno-Fans auch ein paar Diffidati mitspielen. Letzteres war leider nicht möglich, da ihr Spiel auf den Montagabend verlegt wurde. Die zwei Führungen und das leckere Essen gab‘s aber und es hat sich gelohnt.

Zum Jüdischen Livorno hat uns Elisa vom Amaranta Service einiges erzählt. Mit ihr hatte ich schon einmal eine Führung vor drei Jahren. Damals waren wir die ersten Gäste auf dem restaurierten alten Jüdischen Friedhof in der Viale Ippolito Nievo. Außerdem besuchten wir das kleine Jüdische Museum in der ehemaligen Yeshiva Marini und das Geburtshaus von Amedeo Modigliani. Diesmal war der Friedhof leider zu, wir konnten aber in die Synagoge. So trafen wir uns am frühen Nachmittag mit Elisa eben dort, wo sie uns zunächst etwas allgemeiner etwas über die jüdischen Einflüsse auf die Stadtentwicklung von Livorno wie zum Beispiel die Tomaten im Essen und den für ganz Italien berühmten Café (aka Espresso) erzählte. Danach ging es per Pedes zur Yeshiva, ganz früher eine private Synagoge, später eine Religiöse Schule sowie zu Zeiten von Mussolini und während der Besatzung eine geheime Schule für jüdische Kinder. Dort berichtete Elisa etwas mehr über den Alltag der Jüdischen Gemeinde von den Anfängen bis heute.

Der Tag vor dem Derby am Sonnabend war für uns nicht verplant. Entsprechend machten wir uns auf den Weg, das Meer und die Sonne zu genießen. Außerdem fuhren wir mit der Seilbahn zum Monte Nero, einem christlichen Wallfahrtsort über der Stadt, von wo es einen wunderbaren Blick auf die Stadt gibt. Am Abend veranstalteten einige Livornesi in der gerade erst eröffneten Bar ArenAstra in der Nähe des Wassers eine Party unter dem Motto „Willkommen Banditen“ für uns.

Am Sonnabend war Derby-Tag. Der begann mit Frühstück, gespannt warten, einem Spaziergang die Promenade am Wasser entlang zum Stadion, einstimmen auf die Kurve, um dann doch von der großen Zahl enthusiastischer Menschen völlig überwältigt zu sein. Insgesamt waren am Ende wohl 10.000 im Stadion, davon ungefähr 2.000 Gäste. Die Kurve war voll, wie immer. Die Tribüne und die Gegengrade waren ebenfalls gut gefüllt. Auf der Gradinata Morosini, also der Gegengrade benannt nach dem Livorno-Spieler, der an einem Herzinfarkt auf dem Platz starb, waren einige Hopper und Gäste zu finden, die sich Online Tickets besorgt haben. Ein paar Tage vor dem Spiel gab es etwas Unruhe, weil sich offenbar auch aktive Pisa-Fans Online mit Tickets für die Gegengrade versorgt haben sollen. Davon war beim Spiel selbst aber nix zu bemerken.

Das Spiel begann pünktlich 17 Uhr. Die Curva Nord zeigte ein Intro mit kleinen Fahnen und Bändern am Zaun, die hoch gezogen wurden. Danach ging es fett mit den Gesängen los. Leider, wie so oft in Livorno, war der aktive Kern in der Mitte etwas zu ungeduldig und beendete die Lieder zu schnell, sodass die Ränder nicht einstimmen konnten. In der zweiten Hälfte sollte sich das bessern. Der erste ekstatische Torjubel, eine wahrhaftig befreiende Explosion der Emotionen passierte bereits nach 9 Minuten. Doumbia versenkte die Kugel direkt vor der Kurve. Alle inklusive der Auswechselspieler* und die sportliche Leitung rannten auf den Platz. In der Kurve gab‘s einige Tränen der Freude. Auch bei mir… Danach spielte Livorno souverän und sicherte bis zur Pause das Resultat. In der zweiten Hälfte war das schon schwieriger. Pisa drängte auf den Ausgleich und hatte größere Spielanteile. Aber mitten in einer gefährlichen Drangphase schoss Vantaggiato das 2:0 und beerdigte alle Träume der Gäste, auch nur einen Punkt mitzunehmen. Und war der erste Torjubel schon unvergesslich, gab‘s beim erneuten Tor kein Halten mehr. Alle Livornesi, das Team, die sportliche Leitung, die Gegengrade, die Tribünen und selbstverständlich die Kurve, waren nun vollends erlöst und am Ausrasten. Die Leute auf dem Platz kamen zur Kurve gerannt und feierten. Auf den Rängen wurde zu „Wer nicht springt, ist ein Pisani“ gehüpft. Hammer. Einfach nur ekstatische Freude…

Nach dem aufregenden Spiel und auch weil wir den ganzen Tag zu viel getrunken und viel zu wenig gegessen hatten, musste zur später Stunde doch noch ein Etablissement der Gaumenfreuden aufgesucht werden. Da es Samstag Abend war, gestaltete sich dies allerdings schwieriger als gedacht. Wir landeten am Ende in der Pizzeria Bella Napoli, wo wir schon am Vortag gegessen hatten. Denn leider war in Osteria La Barrocciaia in der Nähe vom Markt kein Platz mehr. Dort hatten wir sehr sehr lecker am ersten Abend gegessen und wurden mit Bluesrock unterhalten. War aber auch nicht weiter tragisch, denn am Sonntag sollten wir nach der fantastischen Stadtführung mit Alessandro inklusive dem Besuch der neuen und alten Festung sowie dem Ort der Gründung der Kommunistischen Partei Italiens beziehungsweise nach dem sportlichen zum kulinarischen Höhepunkt in der kollektiv geführten Kommunisten-Osteria Melafumo kommen. Aber lassen wir das. Lecker Essen muss genossen und nicht beschrieben werden…

Der Montag war entspannt. Da die Flüge erst am frühen Abend gingen, konnten wir noch in Ruhe frühstücken und uns von der Stadt verabschieden. Es war wieder mal grandios in der Stadt. Und auch diese Reise werde ich so schnell nicht vergessen. Ich denke, dem Rest der Reisegruppe geht es ähnlich. Und vielleicht haben wir sie ein bisschen mit dem Livorno-Virus infiziert.

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