Der Charme des Abstiegs im Mommsenstadion

Im aktuellen Ballesterer gibt es einen besonders sehenswerten Beitrag über Tennis Borussia und seine Fans. Die Bilder von Florian Reischauer illustrieren beeindruckend die aktuelle Situation zwischen Tradition und Neuanfang.

Der Stil der Bilder von Flo hat einen ganz besonderen Charme. Die von 11 Freunde preisgekrönte Reihe, die bei unserem Besuch in Livorno beim Spiel gegen Lazio Anfang Mai 2010 entstanden sind, beeindruckten nicht nur uns. Damals lebte die Curva Nord kurz und beeindruckend auf. Die Anwesenheit von ca. 40-50 internationalen Livorno-Fans, die dem Aufruf von uns und der Brigata Scozzese Livorno gefolgt waren, dürfte ein Grund für die antagonistische Leidenschaft und Freude gewesen sein. Der Abschied von Cristiano Lucarelli hat aber bestimmt auch eine Rolle gespielt.

Die Bilder zu Tennis Borussia sind nicht minder besonders. Sie scheinen zwischen einer vergangenen Erhabenheit und der vermeintlich unpassenden Lebendigkeit der Fans hängengeblieben zu sein. Die einzelnen Szenen fallen aus der Zeit. Die drei Männer beim Bier erinnern an deutsche Vereinsseligkeit, wobei alle drei einsam zu sein scheinen. Sie schauen in verschiedene Richtungen und sind ganz bei sich. Ganz anders sieht es bei dem Pärchen daneben aus. Drei Fahnen, zwei Schals und ein breites Lächeln – hier sieht mensch echtes lila-weißes Blut pulsieren. Etwas enthemmter aber mindestens genauso freundlich geht’s offenbar bei den TeBe Fans zu. Auf dem Bild ganz rechts oben sitzen sie auf dem Rasen vor dem Stadion und wärmen sich auf. Bei diesem Bild kann ich mir ein Lächeln einfach nicht verkneifen. Bei solch einem Prämatch-Beisammensein mit Bier und Klön war ich auch ’ne zeitlang dabei. Außerdem kennt wahrscheinlich jede*r Fußballfan*in diese aufgeregte Ruhe und entspannte Vorfreude. Wirklich Toll!

Ich finde die kleinen photographischen Kunstwerke wirken. Sie scheinen zum einen stillzustehen und überzeitliche Traditionen einzufangen, sprühen aber andererseits auch vor Freude und Leidenschaft. Letzteres ist vor allem bei den Bildern aus der Curva Nord am 9. Mai 2010 – dem Tag des Sieges über Hitler-Deutschland – und beim Vor-Spiel der TeBe Fans auf dem Rasen zu finden. Das quadratische Format und die Unschärfe verleihen den Motiven etwas abseitiges, realitätsfremdes, beinah schon etwas surreales. Die Bilder scheinen eine (Licht-) Patina zu haben. Walter Benjamin hätte ihnen wahrscheinlich eine Aura attestiert, auch wenn er sie wahrscheinlich nicht als Kunstwerke anerkannt hätte. Die moderne Kunstphilosophie und Kulturtheorie würde den performativen Charakter der Bilder als Aisthesis betonen, auf ihnen das Atmosphärische spüren und versuchen diese zu fassen. Ich würde es einfach nur Berührung nennen. Oder auch Erinnerung, wobei hierbei eben Persönliches und Überzeitliches zusammen fallen (können).

Der etwas unglückliche Artikel kommt leider an die Bilder nicht heran. Irgendwie scheint er sich eher der Ästhetik des Niedergangs zu widmen. Während die Bilder vieles zeigen – nämlich Einsamkeit, Niedergang Freude und Leidenschaft – fehlt dem Artikel die Verbindung zu den Menschen. So erscheint es zumindest mir. Der Verweis auf den Chor „Eine neue Liga ist wie ein neues Leben“, der den Artikel einleitet, finde ich ziemlich bitter. Besonders witzig ist er nicht. Kreativ vielleicht und trotzig, aber bestimmt nicht (selbst-) ironisch oder komisch. Der Autor Andreas Bachmann nennt dies Galgenhumor.

Die Leere des Stadions macht ebenfalls einen großen Teil des Artikels aus. In der S-Bahn-Liga kommen offenbar keine Gästefans zu Auswärtspielen. Außerdem verlieren sich im großen Mommsenstadion sowieso die paar Hundert Zuschauer*innen. Da bleibt nur die Erinnerung an die heroischen Zeiten mit Sepp Herberger. Am besten kommt noch der Block E weg. Sein antirassistischer und antisexistischer Konsens sowie die Ablehnung von Gewalt und Homophobie wird hervorgehoben, allerdings das Engagement auch außerhalb des Stadions, zum Beispiel mit der erfolgreichen Banneraktion Fußballfans gegen Homophobie, wird nicht erwähnt. Auch das beschriebene sich selbst Abfeiern erscheint im Artikel eher unpassend, als das es sympathisch wirkt. Schließlich bleibt im Hintergrund immer penetrant der Niedergangs des Vereins.

Also, während die Bilder von Flo neben dem Niedergang auch die berührende Lebendigkeit einfangen können, bleibt der Artikel in der Hoffnungslosigkeit des Unterhaus hängen. Das ist zu wenig und vor allem zu pessimistisch! Aber schöne Bilder anschauen und träumen, macht sowieso mehr Spaß. Und deshalb trotzdem Danke Ballesterer!

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2 Kommentare zu „Der Charme des Abstiegs im Mommsenstadion“

  1. Andreas Bachmann sagt:

    Hallo jurij,

    es freut mich, dass Dir die Bildstrecke zu TeBe im neuen ballesterer gefallen hat und Du diese hier mit einem längeren Beitrag würdigst. Als Autor des Textes bedanke ich mich auch für die konstruktive Kritik, fühle mich aber dennoch genötigt darauf mit ein paar Zeilen zu antworten.

    Dass Du den Chor \Eine neue Liga ist wie ein neues Leben\ nicht lustig findest, ist natürlich völlig in Ordnung. Nur wo in dem Text schreibe ich, dass das nun besonders lustig sein soll? Galgenhumor ist nicht gleich Humor und mit Sicherheit nicht immer komisch. In diesem Fall passt das von Dir gewählte Wort \trotzig\ schon ganz gut, ob da nun auch Selbstironie mitschwingt, darüber kann man streiten. Du sagst ’nein‘, ich denke ‚ja‘. Okay, passt schon.

    Der Satz ist im Übrigen der einzige zu Saisonbeginn neu ins Liedgut der TeBe-Fans gekommene Gesang und wurde bei den ersten Spielen häufig skandiert. Dass er Dir nicht gefällt, okay. Ich bin aber als Journalist ein Stück weit dazu verpflichtet die Realität wiederzugeben und kann mir den Bericht über die Fanszene TeBes nicht einfach mal so hinbiegen, wie ich denn gerne hätte, wie sie wäre. In diesen Punkt fällt auch Deine Kritik, dass das sich selbst Abfeieren der Fans eher unpassend als sympathisch wirke. Wobei ich an diesem Punkt zunehmend glaube, dass Du einem Missverständnis aufgelegen bist: Ziel des Artikels war es nicht, Werbung für TeBe zu machen, sondern die Fanszene und deren Stimmung darzustellen. Dass es da auch Dinge Dinge gibt, die auf Dich nicht sympathisch wirken, die vielleicht sogar wirklich unsympathisch sind, kann dann schonmal passieren.

    Und um eins klarzustellen: Ja, bei TeBe wird sich selbst abgefeiert, vor allem bei hohen Rückständen. Auch in der TeBe-Fanszene gibt es viele Fans, die wegen des gemeinsamen Spaßes auf den Rängen während der Partie kommen, und nicht unbedingt, weil sie unbedingt unterklassigen Fußball sehen wollen. Und? Wo ist das Problem dabei? Jedenfalls kann ich es nicht einfach unter den Tisch fallen lassen, nur weil es nicht \sympathisch\ wirkt.

    Zum Abschluss: Dass ich die tolle Banneraktion \Fußballfans gegen Homophobie\ nicht mehr im Artikel habe unterbringen können, tat mir schon weh. 3.000 Zeichen sind leider dann doch verdammt wenig Raum für soviel Mitteilungswürdiges rund um TeBe. Schön, dass Du die Aktion hier noch einmal erwähnt hast und diese auch in Deinem Blog verlinkst.

    Ich wünsche weiterhin viel Freude beim Lesen des ballesterers und hoffe, Du bleibst dem Magazin gewogen, auch wenn Dir dieser Text nicht gefallen hat.

    Mit besten Grüßen,

    Andreas Bachmann

  2. Jurij sagt:

    Toll, dieser Blog wird doch gelesen 😉

    Und danke für die ausführliche Erläuterung zum Artikel. Ich war wohl etwas hart in meiner Kritik. Ich glaube, was mich stört, ist, daß es ich das Gefühl hab – oder besser es irgendwie schwebend bleibt – ob der Autor die (Selbst-) Inszenierung der Fans angesichts des krassen Niedergangs symphatisch findet oder nicht. Der Text ist (für mich) lesbar nicht objektiv. soll er auch gar nicht. aber irgendwie entscheidet er sich auch nicht für eine position. denke ich. und eine symphatisiernde muß es übrigens nicht sein, verlange ich gar nich…

    genauer. der einführende chorus is heftig und krass aufgeladen. darin schwingt trotz, freude noch da zu sein und gemeinsam zu singen, vielleicht auch irgendwie verzweiflung, auf jeden fall aber verdrängung mit – und das alles zusammen udn gleichzeitig. heterogen und mehrdimensional. vielleicht paßt das wort galgenhumor wirklich. ich bin wahrscheinlich einfach zu eindimensional. ich finde diesen chor von außen einfach nur krass. ich wär verdammt sauer.

    ebim selbstabfeiern sieht meienr ansicht nach ähnlich aus.es geht immer mehr abwärts, aber die fans bleiben. statt in frust und verzweiflung zu versinken ist es dann schon besser sich selbst zu feier, wenn es schon nix anderes gibt. irritierend und fatalistisch is’et aber irgend wie schon…

    naja, ich merke grad, daß ich selbst auch unsicher bin udn wahrscheinlich ähnlich unschlüssig in der position gewesen wäre. bilder habens da einfacher, als worte. bilder stellen ein verhätnis her. worte sollen eindeutiger sein. die bilder von flo heben das durch die unschärfe und den retro-stil auf… vielelicht funktionieren sie bei tebe auch deshalb so gut.

    und übrgiens, den artikel hab ich trotzdm gern gelesen. wirklich!