Kick it like Guevara!?

Das letzte Thema der Jungle World hatte das Pozenzial große Wellen innerhalb der emanzipatorischen Fanszenen zu machen. Es sollte darum gehen, wie „links“ Fußball sein kann. Explizit ging es um das Spiel, die Fans und ein bißchen um eine vermeintliche „linke“ Spielweise. Leider hielt das Thema nicht, was es versprochen hatte. Besonders ärgerlich war die ganz persönliche, lieblose und oberflächliche Compilation vermeintlich „linker“ Fußballklubs von Alex Feuerherdt. Die Reaktion auf das Thema muß heftig gewesen sein. Wie in der aktuellen Reaktion zu lesen ist, gab es sowohl Lob als auch harsche Kritik. Ich habe gegenüber der Redaktion meiner Enttäuschung Ausdruck verliehen (was die Jungle World abdruckte). Um meine Kritik zu konkretisieren nun noch ein paar mehr Hinweise über die Unzulänglichkeiten der Feuerherdt’schen Thesen zu „linken“ Fußballvereinen und ihren Fans. 

Am auffälligsten ist die Unkenntnis und mangelhafte Auseinandersetzung mit den jeweiligen Fanszenen und der Entwicklung der Kurven bei den Vereinen AS Livorno und SV Babelsberg. In Bezug auf den toskanischen Verein fällt die Beschreibung der Geschichte des Vereins lückenhaft aus. Es fehlt zum Beispiel der Spieler Igor Protti, der als Persönlichkeit mehr noch als Cristiano Lucarelli zur besonderen Identifikationsfigur für die Livornes* geworden ist. Genauso wenig wird erwähnt, daß der Aufstieg in die Serie A und die Konsolidierung des Vereins vor allem Aldo Spinelli – der zur Zeit wohl meistgehaßteste Mensch in Livorno – zu verdanken sind. Die Behauptung von Alex Feuerherdt, daß die „linken Ultras […] de facto den gesamten Club“ dominieren, läßt sich ebenfalls nicht halten. Denn der bereits erwähnte Spinelli ist Präsident, Eigentümer und Spielerberater. Er vereint also in Personalunion die wichtigsten Posten und  ist in erster Linie am Profit des Klubs interessiert. Der Einfluß der Kurve auf das Management des Vereins ist marginal. Richtiger ist, daß es immer wieder forcierte Konflikte gibt. Zum Beispiel kündigte Spinelli im Sommer 2012 an, die Curva Nord zu schließen. Des Weiteren hat er in den vergangenen Jahren immer wieder die Livornes* beschimpft, daß sie sich zu viel um eine anti-italienische und antifaschistische Politik kümmern würden, statt die Spieler*innen des AS Livorno zu unterstützen.

Bezüglich der vor allem außerhalb von Livorno und insbesondere in Deutschland beinah schon mythisch überhöhten „Brigate Autonome Livornesi“ (BAL) beweist Feuerherdt ebenfalls seine Unkenntnis. Die BAL wurden als einzige italienische Ultrà-Gruppe im Zuge der massiven Repression gegen die aktive Fanszene als terroristische Vereinigung verboten. Eine formale Auflösung war nicht nötig und die sichtbare Aktivität aus nachvollziehbaren Gründen sehr gefährlich. Bezüglich der roten Fahnen sollte in Erinnerung gerufen werden, daß die Fahne des Klubs weinrot ist. Der AS Livorno wird nicht umsonst Amaranto genannt. Dementsprechend sind die roten (Vereins-) Farben selbstverständlich bei jedem Spiel zu sehen. Und Stalin ist und bleibt für einen kleinen Teil der livorneser Szene weiterhin sehr wichtig. Aber sein Konterfei ist schon seit Jahren nicht mehr im Stadion zu sehen. Hinzu kommt der widerliche Vergleich der Livornes* mit den Faschist*innen von Lazio. Es ist richtig, daß die anti-imperialistischen Diskurse in Livorno sehr verbreitet sind, und es ist auch richtig, daß es unerträgliche antisemitische Chöre und Banner gab – doch auch dies ist schon seit Jahren vorbei. Das angesprochene widerliche Banner stammt im Übrigen aus der Hochzeit der BAL. Es wurde am 27. Januar 2003 beim Spiel gegen Sampdoria Genua gezeigt. Ekelhafterweise ausgerechnet am Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus, dem sogenanten „Internationalen Holocaustgedenktag“. Dies ist nun schon beinahe 10 Jahre her und seitdem hat sich die Fanszene sehr verändert.

Während Alex Feuerherdt zum Verein und den Fans des AS Livorno offenbar lediglich veraltete und mißverständliche Informationen kolportiert, ist die Beschreibung der Fanszene des SV Babelsberg größtenteils falsch. Der erste Satz über die Suche der Potsdamer Hausbesetzer*innen nach einem samstäglichen Zeitvertreib ist noch richtig. Aber dann geht es mit den Fehlern los. Das angesprochene „Filmstadt Inferno 99“ ist nicht die erste Ultra-Gruppe. Es gab bereits aktive Fanstrukturen vor dem FI’99 und selbst die erste Ultra-Gruppe waren sie nicht. Genauso falsch ist, daß „Ultras“ im Aufsichtsrat und im Vorstand des Vereins sitzen. Richtig ist, daß Fans maßgeblich für Merchandise, Stadionheft, Kinderbetreuung und anderes verantwortlich sind. Das heißt aber noch lange nicht, daß diese Fans „Ultras“ des FI’99 sind und erst recht nicht, daß sie im Aufsichtsrat oder im Vorstand sitzen. Wenn es denn so wäre, warum kämpfen die Fans seit Monaten um eine Satzungsänderung, die ihnen einen Platz in den Gremien zugestehen soll?

Bei den anderen Beiträgen fehlen ebenfalls wichtige Hinweise. Zum Beispiel ist es nicht so wichtig, daß die Liverpool Fans den Song „You’ll never walk alone“ zum ersten Mal gesungen haben. Erst die Tragödien im Heysel-Stadion (1985) und im Hillsborough-Stadion im Jahr 1989, bei dem 96 Menschen getötet wurden, haben ihn weltweit bekannt gemacht. Dieser Chor ist einer der bekanntesten Fußballgesänge der Welt. Und er wurde es als Erinnerung an die Nicht-Anwesenden, vor allem die 96 Toten Liverpool-Fans. Das „You’ll never walk alone“ hat der Verein FC Liverpool nach der Katastrophe von 1989 im Gedenken an die 96 Opfer in seinem Wappen verewigt. In Bezug auf die Köpenicker*innen fehlt, daß es bis heute rechtsoffene, wie die Eisernen Kameraden, oder offen nazistische Fanstrukturen wie crimark gibt…

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3 Kommentare zu „Kick it like Guevara!?“

  1. PP sagt:

    Eine wirklich gute Rezension des Artikels. Sicherlich hättet ihr auch bei den anderen aufgezählten Vereinen weitermachen können, da auch dort zweifelhafte bzw. veraltete Informationen genutzt wurden. Nun ja…
    Zu 03 und dem FI’99:
    Euer Einwand: „Das angesprochene „Filmstadt Inferno 99“ ist nicht die erste Ultra-Gruppe. Es gab bereits aktive Fanstrukturen vor dem FI’99 und selbst die erste Ultra-Gruppe waren sie nicht.“, ist leider auch nur zum Teil richtig, da es zwar sicherlich aktive Fanstrukturen vor der Gründung des FI’99 gab, diese allerdings nicht als Ultrà-Gruppen agierten. Somit war und ist das FI’99 in der Tat die erste Ultrà-Gruppe des SVB03.

  2. Jurij sagt:

    wer regelmäßig unser Diario liest – naja, die erste ausgabe mein ich – wird wissen, daß sich kurz vor dem FI’99 eine gruppe gründete, die sich nach einem gewissen gallischen hündchen benannt hatte. falls das nich‘ ganz korrekt is‘, geb‘ ich die kritik gerne weiter… aber eigentlich ist es auch egal. die feuerherdt’sche behauptung, daß ultras im vorstand oder aufsichtsrat sitzen, war eigentlich die wichtigere fehlinformation.

  3. Kick it like Guevara! « LOVE FOOTBALL, HATE RACISM! sagt:

    […] kritischen Beitrag zum Jungle World Thema findet Ihr bei Amaranto: Kick it like Guevara!? Teilen – Gefällt […]